PRÜFMETHODIK FÜR ÜBERSTROMZEITSCHUTZ

Die Prüfung von Überstromzeitschutzanwendungen beinhaltet die Anrege- und Auslöseprüfung und ist im Normalfall manuell oder mittels Funktionsmodulen rasch durchgeführt. Im folgenden Beitrag wird ein Blick auf die normativen Vorgaben und die Arten des Prüfens geworfen.

von Cord Mempel Datum 12.06.2018

UMZ Schutz

Wohl jeder, der sich mit der Prüfung von Schutzgeräten beschäftigt, hat auch schon Prüfungen am Überstromzeitschutz durchgeführt. Die UMZ-Funktion (Unabhängiger Maximalstrom-Zeitschutz) findet man überall, als Abzweigschutz im Verteilnetz, als Not- oder Reserveschutz für Distanzschutz und Leitungsschutz oder als Ergänzung beim Trafo-, Motor- und Generatorschutz.

Traditionell waren hier mindestens zwei Prüfungen involviert, die die beiden wichtigsten Einstellwerte überprüfen, Ansprechwert und Auslösezeit.

Zur Ermittlung des Ansprechwertes am Prüfkoffer wurde langsam der Strom hochgedreht, bis eine Anregung erfolgt. Die Prüfung der Auslösezeit erfolgte durch einen „Schuss“, häufig mit dem doppelten Ansprechwert.

Bei den elektromechanischen Schutzgeräten gehörte das Nachjustieren zur Prüfung und wurde auch im Protokoll vermerkt – Abb. 1.

Abb. 1 Prüfvorlage und Protokoll um 1930 (Auszug) [1]

WAS WIRD GEPRÜFT?

Sind die beiden genannten Prüfungen ausreichend? Was sollte man prüfen?

Die Rede ist hier nur von den spezifischen Prüfungen für die UMZ-Funktion. Natürlich sind für ein Schutzgerät weitere Prüfungen sinnvoll, wie zum Beispiel das Überprüfen von Betriebsmesswerten und Meldungen oder eine Scharfauslösung mit Leistungsschalter.

Grundsätzlich hängt es von der Anwendung des Überstromzeitschutzes ab, was man prüfen sollte. Im FNN-Leitfaden [2] sind in einem Beispielprotokoll für einen UMZ-Schutz eigentlich dieselben Prüfungen wie schon 1930 genannt, hinzugekommen ist eine Prüfung des Rückfallwertes – Tab. 1.

Tab. 1 Beispielprotokoll Funktionsprüfung UMZ (Auszug) [2]

Dieses Protokoll sieht eine Prüfung je Phase vor. Empfehlenswert wäre neben der Phasenabdeckung eine Prüfung für die einzelnen Fehlerarten (2-poliger und 3-poliger Kurzschluss, im geerdeten Netz selbstverständlich auch einpolige Fehler). Bei Geräten mit inversen Kennlinien (AMZ) sollten dabei natürlich ausreichend viele Punkte der Kennlinie überprüft werden.

Neben dem FNN-Leitfaden gibt es auch eine EN (IEC)-Norm, die weitere Prüfungen vorsieht und spezifiziert [3]. Diese Norm gilt aber eigentlich für Hersteller von Schutzgeräten (Typprüfung) und soll den Vergleich von Leistungsmerkmalen und technischen Daten erleichtern.

Eine Prüfung nach dieser Norm bietet sich auch für Gerätequalifizierungen an. Die dort geforderten Prüfungen und Prüfspezifikationen geben aber auch sinnvolle Hinweise für die Durchführung der Inbetriebnahme- oder Wartungsprüfung sowie für mögliche Zusatzprüfungen.

Für die Ermittlung des Ansprechwertes gibt diese Norm vor, dass die Rampe mindestens um den doppelten Wert der Gerätetoleranz vor dem erwarteten Ansprechwert starten soll. Die Schrittweite ist dabei auf weniger als 1/10 der Toleranz einzustellen, wobei jeder Schritt für eine Zeitdauer zwischen dem doppelten und dem fünffachen Wert der Toleranz zu halten ist. Bei einem Einstellwert von 1 A, einer Toleranz von 5 % und einer Ansprechzeit von ca. 30 ms könnte die Rampe somit bei einem Strom von 0,9 A starten, die Stufung könnte 5 mA betragen und jede Stufe könnte für 100 ms ausgegeben werden. 

Abb. 2 Mit modernen Testprogrammen lässt sich der Einfluss einer abklingenden Gleichstromkomponente auf die UMZ-Funktion leicht prüfen

Die Norm sieht beispielsweise auch eine Prüfung für den Einfluss von Einschalteffekten vor (abklingende Gleichstromkomponente, Abb. 2). Je nach verwendetem Algorithmus kann ein solches Gleichglied dazu führen, dass der Schutz schon bei geringerem Fehlerstrom anspricht. Bei digitalen Geräten bleibt dieser Einfluss in der Regel unter 5 %. Allerdings bieten einige Hersteller eine zusätzliche und besonders schnelle Stufe an, bei der diese Überreichweite deutlich größer sein kann.

Die Überschwingzeit gibt an, wie lange nach dem Wegfall des Fehlerstromes noch eine Auslösung erfolgen kann. Für die allgemeine Zeitstaffelung ist diese Zeit irrelevant, weil sie typischerweise im Bereich von 5–20 ms liegt. Soll jedoch ein einfacher Sammelschienenschutz über die Rückwärtige Verriegelung realisiert werden – Abb. 3, dann kann die Überschwingzeit wichtig sein.

Abb. 3 Bei der Rückwärtigen Verriegelung wird die I> Stufe an der Einspeisung auf den gleichen Stromwert gestellt wie in den Abgängen, aber um z.B. 50 ms verzögert. Eine I> Anregung an einem Abgang zeigt an, dass der Fehler nicht auf der Sammelschiene liegt, und blockiert dann diese Stufe beim Gerät in der Einspeisung

Beim Einsatz eines gerichteten Überstromzeitschutzes sollte man die Wirksamkeit durch Prüfen in beiden Richtungen (Fehler vorwärts/ rückwärts) sicherstellen und auch die Richtungsgrenzen ermitteln.

WIE WIRD GEPRÜFT? 

Bis vor ca. 30 Jahren gab es wenig Wahlmöglichkeiten bei dieser Frage. Die Prüfungen wurden mit konventionellen Prüfgeräten – Abb. 4 – Schritt für Schritt durchgeführt und die Ergebnisse anschließend vom Prüfer in ein Protokoll eingetragen.

Inzwischen haben Schutztechniker die Wahl, was sie dabei prüfen. Natürlich kann man auch mit modernen Geräten so prüfen wie früher. Dazu lassen sich bei der ersten Prüfung leicht Prüfpläne selbst erstellen, die eine Wiederholung für ähnliche Geräte stark vereinfachen. Die andere Möglichkeit ist der Einsatz automatisierter Prüfvorlagen, wie sie von OMICRON in der PTL = „Protection Testing Library“ zur Verfügung gestellt werden.

Neue Ansätze zur Prüfung des Überstromzeitschutzes gehen über die reine Funktionsprüfung hinaus und sehen auch systembasierte Tests vor.

Abb. 4 Konventionelle Prüfeinrichtung (Siemens, ca. 1980, Quelle: OMICRON Museum)

MANUELLES PRÜFEN
Der Prozess beim manuellen Prüfen kann auf die gleiche Weise erfolgen wie früher bei konventionellen Prüfeinrichtungen. Das moderne Prüfgerät wird jetzt allerdings über eine App gesteuert, die auch die Darstellung einer Kennlinie erlaubt und für automatische Protokollierung sorgt – siehe Abb. 5.

Abb. 5 Manuelles Prüfen eines Überstromzeitschutzes mit einer „App“ (hier von einem Gerät mit einer abhängigen Kennlinie)

ARBEITEN MIT FUNKTIONSMODULEN
Ein spezifisches Prüfmodul für den Überstromschutz sorgt bei der Prüfung von Anrege- und Rückfallwert für die Einhaltung der Vorgaben aus der IEC 61255-151. Kennlinien und Richtungsgeraden werden übersichtlich dargestellt und die Bewertung kann automatisch erfolgen.

PRÜFAUTOMATISIERUNG
Ein weiterer Automatisierungsschritt ergibt sich durch die automatische Anpassung der Prüfpunkte an die Referenzwerte für die Relaiseinstellungen. Trotzdem hat der Prüfer jederzeit die Möglichkeit, diese Werte anzupassen oder zu erweitern. OMICRON stellt solche Prüfpläne für Überstromzeitschutzgeräte in der PTL zur Verfügung – Abb. 6.

Abb. 6 Eine Prüfvorlage aus der OMICRON Protection Testing Library bietet eine automatisierte Prüfung, die sich automatisch an Referenzeinstellungen anpasst und den Prüfer durch die Prüfung führt

Um Fehlparametrierungen erkennen zu können, ist es wichtig, dass der Import der Relaiseinstellungen in die Prüfvorlage nicht mit den eingestellten Werten aus dem Gerät, sondern mit den festgelegten Sollwerten erfolgt.

Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Effizienz bei der Schutzprüfung durch intelligente Prüfautomatisierung deutlich steigern lässt. [4]

SYSTEMBASIERTES PRÜFEN
Systembasiertes Prüfen erfolgt nicht entsprechend der einzelnen wichtigen Funktionsparameter, sondern durch Simulation realistischer Fehlerfälle im Netz. Solche Verfahren werden meist für komplexere Schutzfunktionen eingesetzt. Beim Überstromzeitschutz lässt sich so zum Beispiel die Staffelung überprüfen oder ein anschaulicher Test der Rückwärtigen Verriegelung durchführen –
Abb. 4.

Soll eine Überstromschutzfunktion in einem Transformator-Differentialschutzgerät geprüft werden, ohne dass der Differential-Schutz ausgeschaltet oder blockiert wird, lassen sich mit dieser Methode auf einfache Weise externe Fehler simulieren, bei denen nur der Überstromschutz ansprechen darf – Abb. 7.

Abb. 7 Systembasierte Prüfung einer Überstromschutzfunktion in einem Diff-Schutzgerät durch Simulation eines externen Fehlers

ZUSAMMENFASSUNG

Der Überstromzeitschutz ist die wohl am häufigsten verwendete Schutzfunktion, häufig aber nur als Zusatz- oder Reserveschutz. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, was man bei jedem UMZ-Schutz unbedingt prüfen sollte, und beschreibt dann zusätzliche Prüfungen für bestimmte Geräteanwendungen. Im zweiten Teil werden verschiedene Prüfmethoden vorgestellt und verglichen: von der einfachen manuellen Prüfung bis hin zu einem systembasierten Test. Die Effizienz der Prüfung hängt dabei immer auch von der richtigen Wahl der Prüfwerkzeuge ab.

Quellen

1 W. Schossig, Geschichte der Relaisprüfung, OMICRON Anwendertagung 2009, Fürstenfeldbruck
2 FNN Forum Netztechnik im VDE, Leitfaden zum Einsatz von Schutzsystemen in elektrischen Netzen, Ausgabe Sept. 2009
3 EN 60255-151 Messrelais und Schutzeinrichtungen, Teil 151: Funktionsanforderungen für Über-/Unterstromschutz (IEC 60255- 151: 2009)
4 T. Welfonder, Erhöhung der Effizienz der Prüfungen bei einem großen Hersteller für Schutz- und Leittechnik, OMICRON Anwendertagung 2016, Darmstadt 

 

 

 

ÜBERSTROMZEITSCHUTZ - Ausgabe 02/18

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