Transformator­differential­schutz - PRÜFVERFAHREN

Die Stromdifferenz gehört neben dem Überstromzeitschutz zu den ältesten Schutzkriterien. Schon seit geraumer Zeit wird der Differentialschutz genutzt, um vor allem Transformatoren schnell und selektiv zu schützen. Die hierbei verwendeten Technologien haben sich dabei im Laufe der Zeit dramatisch gewandelt. Dieser Wandel der Schutzgerätetechnik sowie der technische Fortschritt bewirken natürlich auch Veränderungen bei den verwendeten Prüfverfahren.

von Björn Cialla Datum 05.12.2018

Maschinenschutz

Ein elektromechanischer Differentialschutz benötigt zum Beispiel Anpasswandler, um korrekt zu funktionieren. Diese sind notwendig, da der Schutz die Ströme direkt vergleicht. Im fehlerfreien Fall ist der Strom auf beiden Seiten exakt gleich groß. Bei einem Transformator sorgen jedoch das Übersetzungsverhältnis, die Schaltgruppe und die Sternpunktbehandlung dafür, dass zum Beispiel die Ströme in L1 auf beiden Seiten des Transformators nicht identisch sind. Damit das Schutzgerät also korrekt arbeiten kann, müssen die Anpasswandler diese Effekte kompensieren – Abb. 1a.

Abb. 1a Elektromechanischer Differentialschutz mit Anpasswandler

In der Regel wurde bei solchen Schutzgeräten ein einphasiges Prüfgerät verwendet, um auf einer Seite einzuspeisen – Abb. 1b. Damit konnten lediglich der Ansprechwert und die Auslösezeit des Differentialschutzes überprüft werden. Dafür musste bei der Inbetriebnahme ein besonderes Augenmerk auf die fließenden Ströme gelegt werden, um sicherzugehen, dass die Konfiguration der Anpasswandler korrekt ist und durchfließende Ströme nicht zu Auslösungen des Differentialschutzes führten. Weiter fortgeschritten waren Prüfsysteme, die dreiphasig frei konfigurierbare Ströme einspeisen konnten. Damit war es möglich, mit zwei unterschiedlichen Strömen auch die Stabilisierungskennlinie zu prüfen – Abb. 1c.

Abb. 1b Prüfung mit einphasiger Quelle (Haltestrom IH und Differentialstrom ID)

Abb. 1c Prüfung mit dreiphasiger Quelle

Heute verwendete digitale Schutzgeräte sind jedoch in der Lage, die Ströme der Stromwandler direkt zu messen und die Anpassung von Übersetzungsverhältnis, Schaltgruppe und Sternpunktbehandlung rechnerisch durchzuführen. In der Regel werden alle Ströme auf den Bemessungsstrom des Transformators bezogen und auf die Seite 1 umgerechnet. Um diese Schutzgeräte vollständig zu prüfen, empfiehlt sich ein Prüfgerät, das Ströme in sechs Phasen ausgeben kann.

Neben der verwendeten Prüfhardware ist natürlich auch der Ablauf einer solchen Prüfung entscheidend. Dieser sollte in der Regel die folgenden vier Teilschritte abdecken – Abb. 2, die im Anschluss erklärt werden:

  • Konfigurationsprüfung
  • Prüfung der Auslösecharakteristik
  • Prüfung der Auslösezeit
  • Prüfung der Inrush-Sperre

Abb. 2 Prüfablauf einer Differentialschutzprüfung

KONFIGURATIONSPRÜFUNG

Der wichtigste Prüfschritt ist die sogenannte Konfigurationsprüfung. Hierbei werden Situationen simuliert, bei denen Ströme durch einen Transformator fließen, ohne dass ein interner Fehler vorliegt. Dies können normale Lastströme, aber auch Fehlerströme eines außenliegenden Fehlers sein – Abb. 3. Bei diesem Schritt darf der Differentialschutz nicht auslösen. Differentialschutzgeräte sind sehr empfindlich und auch kleinere Konfigurationsfehler können zu einer Überfunktion führen. Daher besteht die Kunst nicht darin, das Schutzgerät zum Auslösen zu bringen, sondern vielmehr dafür zu sorgen, dass es bei einem fehlerfreien Transformator nicht auslöst.

Abb. 3 Stromverlauf eines außenliegenden zweipoligen Fehlers

Ist dieser Prüfschritt bestanden, kann man recht sicher sein, dass die folgenden Schutzgeräteeinstellungen korrekt sind: 

  • Bemessungsspannungen des Transformators
  • Bemessungsscheinleistung des Transformators
  • Schaltgruppe des Transformators
  • Nullstromelimination
  • Bemessungsströme der Wandler
  • Position der Wandlersternpunkte

Hierbei bietet es sich an, nicht nur auf das Auslösen oder Nichtauslösen des Schutzgeräts zu achten, sondern auch die Messwerte miteinzubeziehen. Die meisten digitalen Schutzgeräte ermöglichen die Anzeige der berechneten Differential- und Stabilisierungsströme. Diese lassen sich nutzen, um die Plausibilität der Messwerte zu verifizieren. Idealerweise zeigt das Schutzgerät keinen Differentialstrom an – Abb. 4. Durch Messfehler innerhalb der Toleranzen des Schutzgerätes kann es jedoch zu einem Differentialstrom von ca. 2–3% kommen. Werte, die wesentlich höher liegen (aber noch nicht zu einer Auslösung führen), sind  häufig auf eine falsche Konfiguration zurückzuführen. Die kann zum Beispiel vorkommen, wenn statt der Bemessungsspannungen des Transformators die Nennspannungen der Spannungsebenen eingetragen werden, also zum Beispiel 110 kV statt 115,5kV.

Letztendlich ist es entscheidend, welche Ströme simuliert werden. Es sollten immer ein- und mehrphasige Fehler geprüft werden. Dabei ist es wichtig, die einphasigen Fehler auf allen Seiten des Transformators zu simulieren. Dadurch lässt sich sicherstellen, dass die Nullstromelimination korrekt eingestellt ist. Außerdem sollte man auf die Höhe des Fehlerstroms achten, damit nicht aus Versehen eine zusätzlich aktivierte Überstromzeitschutzfunktion anspricht.

Abb. 4 Konfigurationsprüfung mit gemessenen Differential- und Stabilisierungsströmen

KENNLINIENPRÜFUNG

Bei diesem Prüfschritt wird die Diff-Stab-Kennlinie des Differentialschutzes geprüft. Dazu erfolgen einzelne Prüfschüsse mit vorgegebenem Differential- und Stabilisierungsstrom, um zu überprüfen, ob das Schutzgerät blockiert oder auslöst. Hierbei können die Prüfschüsse entweder knapp außerhalb des Toleranzbereichs platziert oder innerhalb des Toleranzbereichs nach dem Übergang zwischen Blockierund Auslösebereich gesucht werden. Ersteres verifiziert, dass die Ist-Kennlinie innerhalb des Toleranzbandes um die Soll-Kennlinie liegt, Zweiteres ermittelt, wo genau die Kennlinie liegt, und ist somit etwas genauer – Abb. 5.

Abb. 5 Prüfung der Auslösekennlinie eines Transformatordifferentialschutzes

AUSLÖSEZEITENPRÜFUNG

Hier werden einzelne Prüfschüsse im Auslösebereich positioniert und die Auslösezeit gemessen. Meist kann dies mit einer einseitigen Einspeisung geschehen. Mit dieser Prüfung lässt sich auch verifizieren, ob die unstabilisierte Stufe IDiff>> schneller auslöst als die stabilisierte Stufe IDiff>.

INRUSHSPERRE

Der Inrush-Strom, der beim Einschalten eines Transformators fließen kann, zeichnet sich besonders durch einen hohen Anteil an geradzahligen Harmonischen aus. Vor allem die zweite Harmonische sticht hier hervor –
 Abb. 6. Daher nutzen viele Schutzgerätetypen diese zweite Harmonische, um zu überprüfen, ob ein Inrush vorliegt und somit eine Auslösung blockiert werden muss. Zur Überprüfung dieser Funktion wird ein Strom auf einer Seite des Transformators erzeugt, dem eine zweite Harmonische aufgeprägt wird. Liegt die zweite Harmonische unterhalb des Einstellwertes, muss der Schutz auslösen. Liegt sie oberhalb, muss der Schutz blockieren.

Abb. 6 Stromverlauf eines Inrushes und dessen Harmonische

WEITERE FUNKTIONEN

Die modernen multifunktionellen Schutzgeräte können jedoch mehr, als nur die Differentialschutzfunktion in einem Gehäuse zu realisieren. Häufig werden hier zusätzlich der Überstromzeitschutz und der Überlastschutz verwendet, um einen ortsfernen Reserveschutz zu realisieren bzw. den Transformator vor thermischen Überbeanspruchungen zu schützen. Das Prüfen dieser Funktionen kann einen Prüfer jedoch vor größere Herausforderungen stellen. Beide Prüfungen erfordern das Einspeisen von Strömen auf einer Seite des Transformators. Eine einseitige Einspeisung würde jedoch unweigerlich zum Auslösen des Differentialschutzes führen. Die „sauberste“ Lösung für dieses Problem wäre, die passenden Ströme auf der anderen Seite des Transformators zu berechnen, um sicherzustellen, dass der Differentialschutz nicht auslöst. Diese Berechnungen sind jedoch manuell recht aufwendig und daher nur selten praktikabel. Ein anderer Weg wäre das Blockieren der Differentialschutzfunktion. Hierbei sollte schon bei der Projektierung ein Binäreingang vorgesehen werden, der dem Blockieren des Differentialschutzes für Prüfzwecke dient. Es ist sinnvoll, diesen Kontakt für die Prüfung mit möglichst auffälligen Prüfstrippen anzuschließen, damit sichergestellt ist, dass diese nach der Prüfung nicht im Schrank vergessen werden. Das Deaktivieren der Funktion über eine Softwareeinstellung ist nach Möglichkeit zu vermeiden und häufig auch unzulässig. Muss der Differentialschutz trotz allem deaktiviert werden, so sollte die Reihenfolge der Prüfschritte beachtet werden. An erster Stelle steht die Prüfung von Überstromzeit- bzw. Überlastschutz, anschließend folgt der Differentialschutz. Damit ist sichergestellt, dass der Differentialschutz auch wirklich aktiviert wurde.

AUSBLICK

Ein Nebeneffekt der Energiewende ist die Notwendigkeit, viel stärker in den Lastfluss des Übertragungsnetzes einzugreifen, als dies bisher erforderlich war. Aus diesem Grund werden immer mehr Phasenschieber-Transformatoren installiert. Der weite Regelbereich, sowohl im Betrag als auch im Winkel, erfordert ganz neue Lösungen der Schutztechnik. Diese müssen dann aber auch geprüft werden können. Gerade für die Konfigurationsprüfung bietet sich hier eine Lösung an, die die einzelnen Stufenstellungen der Regler abbilden kann und somit alle Seiten des Transformators physikalisch korrekt simuliert – Abb. 7.

Abb. 7 Simulation eines Phasenschieber-Transformators

Die 4. Ausgabe 2018 - Transformator­differential­schutz ist da!

Hier können Sie die 4. Ausgabe 2018 als PDF herunterladen.

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