Transformator­differential­schutz - Etappen der Innovation - STROMVERGLEICH AM TRANSFORMATOR

von Walter Schossig Datum 04.12.2018

Maschinenschutz

In den ersten Jahren nach der Einführung der Ölkesselschalter in Deutschland und der Schweiz wurden verschiedene Relaisschutzeinrichtungen für Überstrom und Rückstrom entwickelt. Aber auch in anderen Ländern wurde eifrig daran gearbeitet, einen wirksamen Netzschutz für auftretende Kurz- und Erdschlussströme zu schaffen. Aus dem Jahre 1904 stammen kurzzeitig nacheinander die bei den grundlegenden Erfindungen für den modernen Selektivschutz, von dem die eine, der Differentialschutz, in England, die andere, das Spannungsabfallrelais, in Deutschland gemacht wurde. Der Weg vom entfernungsabhängigen Spannungsabfallschutz als Vorläufer des Distanzschutzes wurde in [1] behandelt.

Als Erfinder des Differentialschutzes, der die Ströme auf beiden Seiten eines Anlagenteiles vergleicht, gelten die Engländer Charles Hestermann Merz und Bernhard Price. Am 16. Februar 1904 meldeten sie ein englisches Patent, „Improvements in the Method of and Means for Protecting Apparatus on Alternating Current Systems“, an, dem am 31. Mai 1904 ein gleichartiges deutsches Patent folgte. Mit der Herausgabe des brit. Patentes 3896 und des DRP 166224 wird 1904 zum Geburtsjahr des Differentialschutzes. Auf beiden Seiten einer Leitung oder Transformators wurden Stromwandler vorgesehen, deren Sekundärseiten gegeneinander geschaltet wurden, sodass im Normalfall kein Strom fließen konnte. Die Wandler waren über Hilfsleitungen zusammengeschaltet. Beim Schutz von Leitungen waren auf jeder Seite Relais vorgesehen, die den zugehörigen Leistungsschalter auslösten. [2]

Bei Transformatoren war nur ein Relais erforderlich, welches auf beide Seiten wirkte. Bei einem Fehler zwischen den beiden Wandlern flossen auf beiden Seiten nicht mehr die gleichen Ströme, sodass die Relais Spannung erhielten und auslösten. Die Schaltung hatte den Nachteil, dass die Wandler praktisch im Leerlauf – also offen – betrieben wurden, was zu hohen Spannungen im Wandlersekundärkreis führte. Man ging deshalb dazu über, die Brückenschaltung [3] zu wählen. 

Abb. 1 Differentialschutz nach Merz-Price, 1904

ERSTANWENDUNGEN

Die Erfindung des Differentialschutzes fand 1906 und 1907 eine erste größere Anwendung beim 20-kV-Kabelnetz der Country of Durham Electrical Power Distribution Co. in Nordengland. 1907 geht das Patent von Merz und Price in den Besitz von AEG über. Kurz darauf führt die AEG den Differentialschutz in Deutschland, auf der Grube Heinitz bei Luisenthal (Saar) und beim EW Westfalen ein. Weitere bekannte Einsatzfälle für den Differentialschutz sind im Jahre 1911 das KW Rosherville, Victoria Falls and Transvaal Power Co. Ltd. (ZA), bei einem 68-MW-Generator und 5x12,5- u. 2x4-MVA-Trafos, 5/42 bzw. 20/42 kV, sowie 1912 in England und dem KW Vereeniging, Victoria Falls and Transvaal Power Co. Ltd. (ZA), bei einem 44-MW-Generator und 2x12,5 u. 4x9-MVA-Trafos, 5/42 kV. Abb. 2 zeigt ein hochempfindliches Differentialrelais, welches ähnlich einem Dreheisenstrommesser arbeitet. Das feststehende äußere Joch war aus legierten Eisenblechen mit hoher Anfangspermeabilität aufgebaut und trug auf beiden zugespitzten Polen die zur Erregung dienenden Stromspulen. Ein Z-förmig ausgebildeter Drehflügel aus hochlegiertem Eisenblech ist zentrisch derart zu den Polen angeordnet, dass bei einer geringen Verdrehung aus der Anfangslage infolge des sich schwach verjüngenden Luftspaltes die Feldstärke im Luftraum zwischen den Polen erheblich anwächst. Auf diese Weise gelang es, bei geringem Eigenverbrauch und verhältnismäßig kleinen Ankergewicht ein großes Drehmoment zu erzeugen. Der bewegliche Eisenflügel war an einer in Spitzen gelagerten Spindel befestigt, die den Schaltarm trägt. Das Ganze stand unter dem Einfluss einer kleinen Spiralfeder, die das Gegendrehmoment erzeugte und den Kontaktarm stets in die Ausgangsstellung zurückzuziehen suchte. Das Gewicht des beweglichen Eisenflügels betrug einschließlich Armatur nur etwa 8g. [4] 

Abb. 2 Hochempfindliches Differentialrelais, Siemens

Eine bis zum Jahre 1918 übliche Schaltung als Transformatorendifferentialschutz zeigt Abb. 3, bei der die Relaiswicklungen noch in Reihe mit den gegensinnig geschalteten Stromwandlern lagen und durch Sicherungen überbrückt waren. Die Anordnung lehnt sich noch an die zur gleichen Zeit häufig benutzte Cleveland-Schaltung an.

Abb. 3 Erste Differentialschutzschaltung für Transformatoren (bis 1908), AEG

Danach entwickelte die AEG ein dreipoliges Standardgerät – Abb. 4, das für die unterschiedlichen Bedürfnisse des Kabel-, Transformatoren- und Generatorenschutzes mit verschiedenen Modifikationen geliefert wurde. Es arbeitete nach dem elektromagnetischen Prinzip. Ein kreisförmiges Magnetjoch trug auf drei um 120° versetzten Polstücken drei Stromwicklungen. Bei Erreichen des Ansprechwertes wurde ein dreizinkiger Drehanker bewegt und damit eine Fallklappe entklinkt, der nach dem Auslösen von Hand zurückgestellt werden musste. Auf diese Weise wurde gleichzeitig eine optische Anzeige für das Arbeiten des Relais erzielt. Der Ansprechstrom konnte durch Verschieben eines Laufgewichtes längs einer bezifferten Skala eingestellt werden. Bei der Ausführung für den Transformatorenschutz hatte der Drehanker einen mit Öldämpfung versehenen vollautomatischen Arbeitskontakt, der zunächst die Gleichstromspule eines eingebauten Windflügelzeitwerkes einschaltete. Dieses war meist auf 2 s fest eingestellt und diente zur Überbrückung des Einschaltstromstoßes. Nach Ablauf des Zeitwerkes wurde dann der bereits genannte halbautomatische Fallkontakt für die Auslösung entklinkt. [5]

Abb. 4 Differentialrelais, AEG

Die im Jahre 1927 praktizierten Lösungen für den Differentialschutz zeigen die Abb. 5 bis 8. [4]

Abb.5 Differentialschutz mit Differentialwandler

Abb. 6 Differentialschutz mit Weicheisen-Balancerelais

Abb. 7 Differentialschutz mit Weicheisen-Balancerelais

Abb. 8 Differentialschutz mit Induktions-Balancerelais 

FALSCHSTROMSTABILISIERUNG

Bereits im Jahre 1920 erkannte Waldemar Petersen, AEG, dass der Differentialschutz in dieser klassischen Form bei Kurzschlüssen außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches zu Fehlauslösungen neigte. Die Ursache für die auftretenden Falschströme war insbesondere die unterschiedliche Wandlersättigung infolge der auch gestiegenen Kurzschlussströme und ihrer Gleichstromglieder. Hinzu kam ein Stören der Abstimmung der beiderseitigen Stromwandler durch die immer häufiger benutzten Regelstufen der Transformatoren. Zunächst wurde dieser Einfluss dadurch beseitigt, dass den zur Schaltgruppennachbildung und Feinstufenanpassung benutzten Zwischenwandlern eine entsprechende Anzahl von Anzapfungen gegeben wurde, die bei jedem Verstellen der Transformatorstufe umgeschaltet werden musste. Derartige unliebsame Eingriffe in den Wandlerkreis waren natürlich bei größerer Schalthäufigkeit nicht mehr zu vertreten und bei automatischer Regelung sogar unmöglich. Georg Stark, AEG, brachte deshalb im Jahre 1930 das Quotientendifferentialrelais heraus [5]. Dieser sprach nicht mehr auf den Absolutwert des Differenzstromes an, sondern auf dessen Verhältnis zum Durchgangsstrom, sodass etwaige Falschströme im Differenzkreis bei äußeren Fehlern unschädlich gemacht wurden. Diese Quotientendifferentialrelais arbeitete ebenfalls nach dem elektromagnetischen Prinzip und hatte neben dem bisher schon vorhandenen Differenzsystem auf der gleichen Achse noch ein dreipoliges Haltesystem, das vom Durchgangsstrom – auch Haltestrom genannt – erregt wurde und ein der Auslösung entgegenwirkendes Drehmoment erzeugte.

Eine Lösung beim RW10, Siemens, unterbrach die Auslösung, wenn ein fest eingestellter Wert von 1,5 mal Volllaststrom auf der Transformatoren-Sekundärseite überschritten wurde – Abb. 9 und 10. [6]

Abb. 9 Schaltung stabilisierter Differentialschutz, RW10, Siemens

Abb. 10 Sperrrelais RW10, einpolig, Siemens

ASEA baute im Jahre 1925 das stabilisierte Differential.-Relais Typ RBD. [7]. Der Franzose P. Barry schlägt im Jahre 1925 vor, auf der Unterspannungsseite des Leistungstransformators, wo die Stromwandler größere Amperewindungszahl besitzen, noch Zwischenwandler einzuschalten, die die gleiche Ausführung und Amperewindungszahl haben wie die Wandler auf der Oberspannungsseite. Hierdurch wird erreicht, dass der Einfluss der verschiedenen magnetischen Charakteristik vermindert wird. Andererseits litt aber darunter die Empfindlichkeit des Schutzes. Die Schaltung ist in Abb. 11 wiedergegeben. Barry verwendete hierbei noch die ältere Schaltung, bei der die Wandler gegeneinander geschaltet sind. Damit sie nicht sekundärseitig offen sind, belastete er sie mit ohmschen Widerständen. Diese Widerstände verbrauchten aber sehr viel Energie, die vom Wandler aufgebracht werden musste und die Empfindlichkeit ebenfalls verschlechterte.

Abb. 11 Differentialschutz mit Zwischenwandler nach Barry

Im Jahre 1929 wird zur Eliminierung des bei Transformatoren mit stetiger Regelung auftretenden Falschstromes von H. Schulze, Auma, eine Lösung der Stufeneingabe und bei der BEWAG in Berlin ein „Differentialwattschutz“ betrieben. [8] Der durch den Relaiszweig fließende Magnetisierungsstrom wird nutzbar gemacht, indem in Serie mit dem Stromdifferentialrelais ein Leistungsrelais – Abb. 12 und 13 – eingebaut wird. Man erhält dadurch einen hochempfindlichen Differentialschutz, welcher eine dauernde Kontrolle der Eisenverluste möglich macht und auslöst, wenn diese, etwa infolge von Eisenbrand, einen bestimmten, einstellbaren Wert überschreiten. [9]

Abb. 12 Hochempfindlicher Transformator-Differentialschutz

Abb. 13 Leistungs-Differentialrelais, AEG, 1929

Abb. 14 zeigt die Schaltung eines einpoligen und Abb. 15 eines dreipoligen wattmetrischen Differentialschutzes von Siemens. [4]

Abb. 14 Schaltung eines einpoligen wattmetrischen Differentialschutzes, Siemens

Abb. 15 Schaltung eines dreipoligen wattmetrischen Differentialschutzes, Siemens
Z Zwischenspannungswandler,
A-A Differentialrelais,
DWR Diferentialwattrelais

Mit dem Ansteigen der Kraftwerksleistung im Netz stiegen auch die Kurzschlussströme und mithin die Falschströme in der Brücke der Stromvergleichsschaltung infolge unterschiedlicher Stromfehler der in der Vergleichsschaltung zusammenarbeitenden Stromwandler. Um Fehlauslösungen bei außerhalb ihres Schutzbereiches liegenden Fehlern zu vermeiden, schlug Albert Edward McCollAbb. 16 – eine Haltewicklung, den sogenannten Prozentsatzschutz (Percentage differential relay), vor.

Abb. 16 Mechanisches Prozentrelais, McColl, 1917

An einen Waagebalken greifen zwei Elektromagnete an, von denen der eine von der geometrischen Summe der Ströme im sperrenden Sinne und der andere von der geometrischen Differenz im auslösenden Sinne beaufschlagt wird. Da auf diese Weise der Auslösestrom proportional dem Durchgangsstrom größer sein muss, wenn er auslösen soll, nannte man es Prozentrelais. Dabei wurde der sperrende Einfluss (z. B. durch Veränderung der Windungszahl oder des Hebelarmes) verschieden groß gemacht, um eine gewünschte Abhängigkeit zu erreichen. Die im brit. Patent Nr. Nr. 104571 enthaltene Schaltung zeigt Abb. 17.

Abb. 17 Differentialschutzschaltung, Coll, 1917

Im Jahre 1918 wird nach einem brit. Patent Nr. 133187 von Wedmore Differentialschutz mit Haltewicklung gebaut, indem die Wirkung der Auslösewicklung durch eine vom Gesamtstrom des Transformators durchflossenen Strom beeinflusst wurde. Je höher dieser Strom war, umso höher wurde der Ansprechwert. Dies hatte den Vorteil, dass bei großen durchfließenden Strömen das Relais infolge Wandlerfalschströmen oder bei nicht genauer Wandleranpassung bei Transformatorenstufungen nicht fehlauslösen konnte.

F. Geise, Siemens, setzt 1932 ein Sperrrelais RW10 als Ergänzung zum einfachen Differentialrelais ein. Es besteht aus einem hufeisenförmigen Magneteisen, das von dem Strom des einen Differentialschutzwandlers erregt wird. In diesem Magnetfeld befindet sich ein Eisenanker, der den Strom des anderen Wandlersatzes erregt. Dadurch bildet das Sperrrelais das Produkt aus beiden Wandlerströmen und spricht nur bei außenliegenden Kurzschlüssen an. Es verhindert dabei durch Wegnahme der Gleichspannung ein unerwünschtes Fehlansprechen des Schutzes. Bei Fehlern im Bereich des Schutzes bleibt das Sperrrelais in Ruhe, sodass der Differentialschutz kurzfristig auslösen kann. Da das Sperrrelais bei außenliegenden Kurzschlüssen anspricht, kann es gleichzeitig Überstromrelais ersetzen und bei diesen Fehlern für langfristige Auslösung in Reservezeit dienen – Abb. 9, 18 und 19.

Abb. 18 Differential- (0,5 s) und Überstromzeitschutz (1–10 s) für Regeltransformatoren, Siemensschutz

Abb. 19 Stabilisierter Differentialschutz RW10, Siemens

Man kann aber auch die Rückzugfeder auf die andere Seite legen, sodass das Relais seinen Kontakt normal geschlossen hält und ihn erst öffnet, wenn die geometrische Summe größer ist als die geometrische Differenz. Schaltet man in Serie mit diesem Kontakt denjenigen eines normalen Stromrelais, das auf die absolute Größe des Fehlerstromes anspricht, so wird dessen Wirksamkeit unterbunden, wenn das Verhältnisrelais seinen Kontakt öffnet. In dieser Schaltung wird das Relais zum „Sperrrelais“. Der Unterschied zwischen „Prozentrelais“ und „Sperrrelais“ liegt also nur in der unterschiedlichen Richtung der Federkraft ±C, die beim Prozentrelais mit +C und beim Sperrrelais mit –C bezeichnet sei. C sei in der Dimension einer Stromgröße dargestellt, die durch das Relaisfließen muss, um die Federkraft zu überwinden.

In den dreißiger Jahren wurde diese Art der Relais in Deutschland unter der Bezeichnung „stabilisiertes Differentialrelais“ eingeführt und ist als „Quotientendifferentialrelais“, AEG, „Prozentdifferentialrelais“, BBC, und „Relais mit Sperrglied“, Siemens, bekannt geworden.

EINSCHALTSTABILSIERUNG

Die Auswirkungen des langsam abklingenden Einschaltstromes konnten jedoch nur mit einer Zeitverzögerung (Ermittlung durch 10 Schaltversuche plus 0,3 s) von 0,5 bis 2 s unterbunden werden. Im Normalbetrieb liegt der Magnetisierungsstrom eines Transformators in der Größenordnung bis zu einigen Prozent des Volllaststromes. Beim Einschalten entsteht jedoch ein starker Stromstoß, dessen Höhe sich nach dem Augenblick des Einschaltens und der Eisensättigung richtet und der seinen höchsten Wert hat, wenn bei Nulldurchgang der Spannung die Kontakte des Schalters schließen. Er erreicht bei den meisten Transformatoren leicht eine Höhe vom 2- bis 3-Fachen des Nennstromes und klingt dann auf den Magnetisierungsstrom ab. Bei der meist gewählten Empfindlichkeit des Differentialschutzes von etwa 30 % hat dieser Einschaltstoß nach 0,5 s die Grenze von etwa 20 % des Nennstromes unterschritten. [10]

In der 30er Jahren hat man schon verschiedene Mittel versucht, um über diesen Einschaltstoß hinwegzukommen, indem man z. B. in Abhängigkeit von Spannungsrelais eine bestimmte Zeit nach dem Einschalten das Zeitrelais des Differentialschutzes kurzschließt. Wenn jetzt während des Betriebs ein Fehler auftritt, wird augenblicklich ausgelöst. Dieses Verfahren hat jedoch den Nachteil, dass man jeden Transformator mit einem Spannungswandler versehen muss, um sicherzustellen, dass auch bei Umschaltungen und dgl. stets die zum Transformator gehörige Spannung am Relais vorhanden ist. Weiterhin tritt bei diesem Verfahren bei einer versuchsweisen Wiederzuschaltung auf Kurzschluss an Stelle der kurzen Zeit die verzögerte Auslösung ein. Man hat fernerhin Anordnungen getroffen, um das Differentialrelais in Abhängigkeit vom Einschaltkommando des Transformators verzögert einzuschalten. Dieses Verfahren arbeitet wiederum falsch, wenn eine Zuschaltung einer Leitung mit angeschlossenem Transformator erfolgt. [10]

Der Einschaltstromstoß ist im Anfang sehr stark einseitig von der Nulllinie verlagert, er enthält also eine starke Gleichstromkomponente. Diese einseitige Verlagerung benutzt Siemens 1938, indem das Differentialrelais nicht unmittelbar in den Brückenstromkreis des Schutzes geschaltet wird, sondern über einen kleinen Zwischenwandler besonderer Art angeschlossen ist – Abb. 20. Der Werkstoff und die magnetischen Verhältnisse dieses Zwischenwandlers a sind so gewählt, dass der Wandler durch den einseitig verlagerten Einschaltstromstoß magnetisch so stark vorgesättigt wird, dass er einen derartig geformten Strom nur in geringem Maße abbildet.

Abb. 20 Schnelldifferentialschutz, Siemens, 1938

Versuche hatten wiederum gezeigt, dass schwächere Einschaltstoßströme oft von vornherein kaum Gleichstromkomponenten enthalten, sondern in der Hauptsache nur Wechselstrom führen. Als Lösung wird eine Aufgabenteilung vorgeschlagen. Dem normalen Differentialschutz mit einer Empfindlichkeit von 30 % und einer Verzögerung von 0,5 s (bei derartig geringen Strömen entstehen in dieser Zeit keine übermäßig großen Zerstörungen) wird eine Schnellschalteinrichtung parallel geschaltet – Abb. 21. Sie besteht aus zwei oder drei Stromrelais mit einem einstellbaren Ansprechwert von etwa 80 bis 160 % des Nennstromes, die über einen kleinen Vorschaltwandler gespeist werden. Diese Schnellschalteinrichtung arbeitet unter Umgehung des Zeitwerkes unmittelbar und das Auslösehilfsrelais des Schutzes schließt unverzögert. Man erreicht dadurch für den Schnellschutz Schaltzeiten von etwa 0,05 s. Die vorgeschalteten Dämpfungswandler verhindern ein Ansprechen dieser Schnellschaltrelais bei den hohen Stromspitzen schwerer Einschaltvorgänge. [10]

Abb. 21 Schnelldifferentialschutz, Siemens, 1938

Gedanken einer „Harmonischen Hemmung“ (harmonic-restraint) kommen auf. Erst Mitte der fünfziger Jahre gelingt es nach vielen Versuchen, durch Gleichrichter- und Filterschaltungen den Oberschwingungsgehalt des Einschaltrush zur Sperrung der Wiederauslösung heranzuziehen, um „Einschaltsicherheit“ und Auslösungen im Fehlerfall von 50 bis 100 ms zu erreichen. 

F. Geise, Siemens, verwendete gesättigte Wandler, die das Gleichstromglied des Einschaltstromes nicht durchließen. 1944 schlug Hoel einen auf 50 Hz abgestimmten schwingenden Kontakt vor und J. Stoecklin, BBC (CH) erhält dazu das Patent DRP 849444.

WEITERENTWICKLUNG

Es lag nahe, die Kombination zweier getrennter Relais (Diff.- und Sperrelais) in einem gemeinsamen Gehäuse zu vereinigen, um den Platzbedarf sowie die Montage- und Verdrahtungskosten zu reduzieren. Im Jahre 1957 bringt AEG das einschaltsichere Schnelldifferentialrelais RQ4 – Abb. 22 – heraus. Die erstmalige Anwendung erfolgt bei den ersten 400-kV-Transformatoren der RWE. [5]

Abb. 22 Schnelldifferentialrelais RQ4, AEG, 1957

Zur Stabilisierung gegen Einschaltströme dient das links oben angeordnete zweite Drehspulrelais. Es entspricht dem Sperrrelais RQ1h.  Abb. 23 zeigt das Prinzip der Einschaltsperre. Von den beiden im Diff.-Stromkreis liegenden Dreiwicklungswandlern W1 und W2 werden ein ohmscher und ein induktiver Shunt (R1 und L1) gespeist, die ihrerseits über eine Vorschaltung aus einem stromabhängigen Widerstand R12 und einem Hochpass Hp an eine Gleichrichterbrückenschaltung mit einem im Diagonalzweig der Gleichrichterbrücke liegenden Drehspulrelais S angeschlossen sind. Der Strom, der im linken Brückenzweig über den Gleichrichter Gf fließt, sucht den Kontakt des Drehspulrelais geschlossen zu halten Während der Strom, der über den Gleichrichter Gnf geführt wird, den Kontakt zu öffnen trachtet. Der Hochpass ist so ausgelegt, dass im rechten Brückenzweig alle Oberwellen, insbesondere die 2. und 3. Oberwelle, verstärkt zur Wirkung kommen. 

Abb. 23 Einschaltsperre beim RQ4, AEG

Das RQ4 arbeitet auch schon bei geringem Relaisstrom mit Kommandozeiten von etwa 100 ms, die sich beim dreifachen Nennstrom noch auf 60 ms verringern. [11]

Das 1954 von der Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) verwendete Prinzip zur Sicherstellung einer hohen Empfindlichkeit zeigt Abb. 24 [12]. Die sekundären Wicklungen der Stromwandler auf der Ober- und auf der Unterspannungsseite werden durch Drosselspulen D1, D2 mit linearer Charakteristik überbrückt und durch ein empfindliches Relais die Spannungen an diesen Drosselspulen miteinander verglichen. Die Drosselspulen D2 auf der einen Seite des Transformators stehen mechanisch mit dem Stufenschalter S in Verbindung, wodurch ihre Reaktanz mit der Stufenschalterstellung in Beziehung gebracht wird. Da auf diese Weise die veränderliche Transformatorübersetzug durch die gegenseitige Beeinflussung der zwei Spannungen berücksichtigt wird, kann auch bei Stufentransformatoren ein empfindlicher Schutz erreicht werden. Abb. 25 zeigt den Diff.-Schutzsatz mit DIha.

Abb. 24 Diff.-Schaltung für Stufentransformatoren MFO

Abb 25 Differentialrelais DIha, MFO, 1954

BBC fertigt 1945 das Differentialrelais TG in ein-, zwei- oder dreipoliger Ausführung – Abb. 26. Bis dahin musste der Schutz für 1 bis 3 s nach dem Einschalten des Transformators gesperrt oder unempfindlich gemacht werden. Die Wirkungsweise des TG beruht auf einer besonderen Durchbildung des Relaiskontaktes im Zusammenwirken mit einem Hilfsschütz, das mit 0,1 bis 0,2 s Verzögerung arbeitet. Unter der Wirkung des Einschaltstromes ist die Kontaktgabe des Relais intermittierend, sodass das Hilfsschütz nicht zum Durchziehen kommt, während eine Störung im Transformator in kürzester Zeit zu einem Aus-Befehl führt. [13]

Abb. 26 Prozent-Differentialrelais TG, BBC, 1945

Es besteht die Gefahr einer Unstabilität durch unterschiedliche Wandlerbauarten auf der Ober- und Unterspannungsseite der Transformatoren oder dass diese durch ungleiche Leitungswiderstände verschieden stark belastet werden und dadurch bei unterschiedlichen Stromstärken ihre Sättigung erreichen oder selbst ungleiche Überstromziffern (heute ALF) haben. H. Neugebauer stellt 1955 eine Lösung für diese Probleme durch Zusatzwiderstände – Abb. 27 – vor. Bei gleicher Stromstärke wird damit ihre Sättigungsgrenze überschritten. Mit dem RN22, Siemens, Abb. 28 werden Kommandozeiten unter einer Periode erreicht. [14]

Abb. 27 Differentialschutz mit Widerstandsstabilisierung

Abb. 28 Differentialschutz RN22, Siemens, 1955

Im Jahre 1967 kommt es zur Markteinführung RQS4-Serie von EAW [15], bestehend aus:

RQS4G Generator-Diff.-Schutz
RQS4T1 Transformator-Diff.-Schutz für Zweiwickler – Abb. 29
RQST3 Transformator-Diff.-Schutz für Transformatorbänke mit zwei Wicklungsgruppen
RQS4Z Dreiwicklerzusatz
RQV         Einschaltsperrelais 

Abb. 29 Differentialrelais RQS4T1, EAW, 1967

ASEA fertigt 1968 das Differentialrelais RYDSA20 – Abb. 29.

Abb. 30 Differentialrelais RYDSA20, ASEA, 1968

EINSATZ VON ZWISCHENSTROMWANDLERN

Zur Anpassung der Transformatorenschaltgruppen und -anzapfungen führt SSW im Jahre 1916 Zwischenwandler ein, die der Transformatorenschaltgruppe entsprachen und selbst Anzapfungen besaßen, DRP 315272.

Die Zwischenwandler – Abb. 31, auch Anpassungs- oder Ausgleichswandler genannt, haben folgende Aufgaben:

  • Rückbildung der durch die Schaltgruppe bedingten Phasenverschiebung zwischen den Strömen der Ober- und Unterspannungsseite des Transformators
  • Stromanpassung, sodass bei gleicher Leistung in beiden Transformatorwicklungen dem Relais von jeder Seite der gleiche Strom zufließt und derselbe bei voller Leistung mindestens 70 % des Relaisnennstromes beträgt
  • Aussieben von Nullströmen bei geerdeten Transformator-Sternpunkten. Zu diesem Zweck sind die Zwischenstromwandler in ⅄/Δ-Schaltung mit Sternpunkterdung auf der Transformatorseite ausgeführt – Abb. 32.
  • Vermeidung von Differenzströmen bei durchfließenden Kurzschlussströmen durch Einsetzen von Zwischenwandlern auf beiden Seiten. Bei nur einseitiger, unsymmetrischer Anordnung könnte das Relais durch unterschiedliches transientes Verhalten der beiden Stromkreise zum Ansprechen gebracht werden.

Abb. 31 Zwischenwandler J0,5D (später 4AM22), Siemens

Abb. 32 Einsatz von Zwischenwandlern

ÜBER DEN ZAUN GESCHAUT

Nach einer Umfrage an 28 Gesellschaften in den USA und Kanada veröffentlicht das Relaiskomitee der AIEE (heute IEEE) 1948 einen Bericht über die Schutzeinrichtungen an Starkstromanlagen. In den meisten Fällen wird bei Transformatoren über 1000 kVA der Differentialschutz angewendet. Dabei wird der Ansprechstrom der Relais zwischen 0,3 und 2 Mal Transformatornennstrom, die Auslösezeit meist auf 0,1 s eingestellt. Die Schwierigkeiten des Einschaltstromstoßes überwindet man durch erhöhten Ansprechstrom oder vergrößerter Auslösezeit, durch verminderte Empfindlichkeit während einer bestimmten Zeit, durch Blockierung der Relais mittels hoher Harmonischer oder durch Gleichrichten des Stromwandler-Sekundärstromes. Fehlauslösungen bei außenliegenden Fehlern werden durch Prozent-Differentialrelais vermieden. [16]

ERSTE DIGITALE DIFFENTIALRELAIS

Mit der Inbetriebnahme des UW Fuchsstadt, ÜWU, im Jahre 1982 wird u. a. auch die Diff-Schutz-Funktion mit Mikrorechnern, Siemens, gelöst. [17]

Zur Markteinführung des numerischen Differentialschutzgerätes 7UT51 (Abb. 33) kommt es 1989. [18] 

Abb. 33 Differentialrelais 7UT51, Siemens, 1989

1990 fertigt ABB numerische Transformator-Diff.-Relais RET316 – Abb. 34. [71] 

Abb. 34 Differentialrelais RET316, ABB, 1990

Ebenfalls 1990 fertigt die AEG ihren digitalen Transformator-Differentialschutz PQ721 – Abb. 35. [20] 

Abb. 35 Differentialrelais PQ721, AEG, 1990

Zur Markteinführen des digitalen Differenzialrelais DQ2S2 – Abb. 36 – von EAW kommt es im Jahre 1996. [21]

Abb. 36 Differentialrelais, EAW, 1996 DQ2S2

Quellen

1 W. Schossig, Balance mit Widerstand (Geschichte des Distanzschutzes). In: Netzschutz-Magazin 1/2017, S. 42–45
2 M. Vogelsang, Die geschichtliche Entwicklung der Hochspannungs-Schalttechnik. Geschichtliche Einzeldarstellungen aus der Elektrotechnik, zweiter Band, Berlin 1929
3 W. Schossig, Von der magnetischen zur elektronischen Waage (Geschichte des Leitungs-Differentialschutzes). In: Netzschutz-Magazin 1/2017, S. 10–13
4 F. Ahrberg; W. Gaarz, Der Differentialschutz für Transformatoren, S&H Druckschrift Ms 22 SH 2208, Sonderdruck aus Helios 33/1927, Nr. 30 bis 32
5 B. Schweder, Forschen und Schaffen. Beiträge der AEG zur Entwicklung der Elektrotechnik bis zum Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg, Band 1–3, Hg. AEG, Berlin 1965
6 Sperrelais für stabilisierten Differentialschutz Type RW10. Siemens, AZR 49131/2a, SGO-Nr. 49131/2a. 742, N/1069
7 B. Lundqvist, 100 years of relay protection, the Swedish ABB relay history, ABB Automation Products, Substation Automation Division (Sweden)
8 H. Schulze, Neuerungen im Differentialschutz von Transformatoren. In: ETZ 33/1929, S. 1191–1193
9 R. Rüdenberg, Relais und Schutzschaltungen in elektrischen Kraftwerken und Netzen, Berlin 1929
10 F. Geise, Der Schnelldifferentialschutz für Großtransformatoren und die Netzstaffelung. In: Siemens-Zeitschrift 18/1938, S. 491–495
11 H. Gutmann, Ein neues einschaltsicheres Schnelldifferentialrelais, AEG-Mitteilungen 48/1958, S. 96–98
12 F. Becker, Der Schutz von Transformatoren, BULLETIN OERLIKON Nr. 304, S. 31–48, Zürich 1954
13 G. Courvoisier, Transformatorenschutz. In: Brown Boveri Mitteilungen 34/1947, S. 147–171
14 H. Neugebauer, Differentialschutz mit Kommandozeiten unter einer Periode. In:  Sonderdruck aus TZ-B 7/1955, S. 108–110
15 J. Zumbach, Der neue einschaltsichere Differentialschutz RQS4. In: EAM 1967, S. 17–20
16 Erfahrungen mit Transformatorenschutz, Elektrotechnik Bd. 2/1948
17 M. Mainka; A. Kumar, Rechnergestützte Leittechnik in 110-/20-kV-Umspannwerken. In: Elektrizitätswirtsch. 84/1985, S. 405–412
18 N. Schuster; L. Schiel,L, Multifunktionsschutz für Zweiwicklungs-Transformatoren. In: ew 100/2001, S. 40–44
19 A. Hoppner, Handbuch für Planung, Konstruktion und Montage von Schaltanlagen, BBC, 2. Auflage, 1956
20 Digitale Schutztechnik, Produktübersicht. ALSTOM-Druckschrift AFSV.07.04945/1100 DE M/M
21 L. Gegner, Digitaler Leitungs- und Objektschutz für Spannungsebenen bis 150 kV, Energetik, Sofia 1995

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