Transformator­differential­schutz - BLOCKIERFUNKTIONEN

Ein erhöhter Magnetisierungsstrom wird durch verschiedene Ursachen hervorgerufen. Die Höhe hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein besonderer Effekt tritt beim Zuschalten auf einen parallel in Betrieb befindlichen Transformator auf. Für diese und weitere Einflüsse werden Blockierfunktionen zur Stabilisierung eingesetzt.

von Vedran Suljkanovic Datum 05.12.2018

Maschinenschutz

Jede größere und plötzliche Spannungsänderung an den Transformatoranschlüssen kann zu Betriebsbedingungen führen, die durch eine hohe Verzerrung des Magnetisierungsstroms gekennzeichnet sind. Obwohl der häufigste rund für das Auftreten des Magnetisierungsstroms in Leistungstransformatoren das Bespannen des unbelasteten Transformators ist, kann dieser auch noch durch andere Ursachen hervorgerufen werden:

  • das Auftreten eines externen Fehlers,
  • die Spannungsänderung nach dem Entfernen des externen Fehlers,
  • durch Veränderung der Art des externen Fehlers (z. B. Umschalten des einphasigen Fehlers auf zweiphasig), 
  • durch Einschalten eines zweiten, unbelasteten Transformators, mit dem der Transformator parallel arbeitet – Sympathetic Inrush

Die anfängliche Magnetisierung während des Schaltens des Transformators wird als ein sehr signifikanter Übergangsprozess im Transformator angesehen. Wenn dieser zuvor von der Stromversorgung abgeschaltet wird, fällt der Magnetisierungsstrom auf null ab, während der Fluss der Hysterese des Transformatorkerns folgt.

Dies führt zum Auftreten einer bestimmten Remanenz-Flussdichte im Kern. Wird der Transformator wieder an die sinusförmige Spannung angeschlossen, wird der Fluss ebenfalls sinusförmig, jedoch um den Wert der Remanenz erhöht, der mehr als 80 % des Nennflusses betragen kann – siehe Abb. 1. Dies kann dazu führen, dass sich die Fluss-Strom-Charakteristik über die Knie-Charakteristik hinaus bewegt und zu großen Spitzen und einer starken Verzerrung des Magnetisierungsstroms führt [1] [2].

Abb. 1 Auswirkungen von Remanenz [3]

Die Form, die Amplituden und die Dauer des Spitzenmagnetisierungsstroms hängen von mehreren Faktoren ab, von:

  • den Transformatorparametern,
  • dem Remanenz-Fluss und 
  • dem Schaltmoment bzw. dem Anfangswert der Spannung zum Zeitpunkt des Einschaltens.

ERFASSUNG

Um Fehlauslösungen des Differentialschutzes zu vermeiden, ist eine Erfassung des  Spitzenmagnetisierungsstroms erforderlich. Dazu werden folgende Eigenschaften herangezogen [2]:

  • der Magnetisierungsstrom enthält ein beträchtliches Niveau an höheren Harmonischen, besonders die zweite Harmonische, 
  • der Magnetisierungsstrom enthält eine abklingende DC-Komponente, 
  • während jeder Periode gibt es flache Bereiche, in denen der aktuelle Stromwert sehr klein oder fast null ist – siehe Abb. 2. Dieses Verfahren wird Kurvenformanalyse, engl. Current Wave Shape Analysis – CWA, genannt.

Abb. 2 Einphasiger Strom-/Spannungsverlauf beim Zuschalten eines Transformators

Die Höhe des Stroms sowie der Anteil der Harmonischen hängen von der Position des Spannungsvektors zum Zeitpunkt des Einschaltens ab – siehe Tab. 1. Bei einem höheren Strom ist der Übergangswinkel zum gesättigten Bereich kleiner und daher ist der Anteil der höheren Harmonischen ausgeprägter.

Tab. 1 Harmonische an bezogen auf Nennfrequenz a1 [6]

Bei Dreiphasen-Leistungstransformatoren variiert der in bestimmten Phasen gemessene Einschaltstrom aus folgenden Gründen beträchtlich:

  • Die Phasenlage der Versorgungsspannung ist zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich, wenn der Leistungstransformator eingeschaltet wird
  • Es kann vorkommen, dass nur einige der Trafowicklungen gesättigt sind.

BLOCKADEVERFAHREN

Um das unerwünschte Ansprechen des stabilisierten Differentialschutzes bei Spitzenmagnetisierungsströmen zu vermeiden, wird eine Relaisblockierung bei Vorhandensein der zweiten Harmonischen realisiert [5]. Verschiedene Relaishersteller empfehlen unterschiedliche Grenzwerte, bei denen die Differentialschutzfunktion gesperrt ist. Die untere Schwelle zum Sperren der zweiten Harmonischen liegt zwischen 15 % und höher.

Der Nachteil dieses Ansatzes ist, dass bei internen Kurzschlüssen der Transformatorspule ein signifikanter Pegel der zweiten Harmonischen vorhanden sein kann und dabei eine Blockierung der Auslösung verhindert wird. Hier kann das als Zusatz-Inrush-Detektion verwendete CWA-Verfahren entgegenwirken: Wenn es nach genau einer Periode nach Fehlereintritt keine flachen Gebiete findet, wird auf inneren Fehler erkannt, die 2. Harmonischen und das CWA-Inrush-Verfahren werden blockiert [7].

Bei Transformatoren neuer Generation werden amorphe Materialien mit geringen Verlusten eingesetzt, die hohe Amplitudenwerte mit einem signifikant niedrigeren Pegel der zweiten Harmonischen aufweisen. Dies erfordert die zusätzliche Verwendung der vierten Oberschwingungen zur Blockierung. 

ÜBERERREGUNG

Im normalen Betriebsmodus sind Flüsse im Kern des Energietransformators Φ direkt proportional zur Spannung und indirekt proportional zur Frequenz. Gl. 1:

Der Transformator wird übererregt, wenn die Spannung ansteigt und/oder die Frequenz abnimmt, wie es beim Starten des Generators oder beim Abschalten des Generator-Transformator- Blocks auftreten kann.

Sie verursacht einen Anstieg von magnetischem Strom, Überhitzung, Lärm und Vibrationen. in stark erregter Transformator sollte ausgeschaltet werden, um Schäden am Transformator zu vermeiden. Ein effektiver Schutz wird z. B. bei Generatorschutzanwendungen mittels U/f-Schutz realisiert.

Die bei Übererregung entstehende Stromverzerrung ist durch das Vorhandensein von ungeraden Harmonischen im Magnetisierungsstrom gekennzeichnet. Die Anwesenheit der dritten und fünften Oberwelle ist am auffälligsten. Da die dritte Harmonische in Dreieck- Wicklungen aufgehoben wird und diese auch aus anderen Gründen auftreten kann, wird die fünfte Harmonische für eine Blockierfunktion bei Übererregung herangezogen.  Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eine Entsperrung  zu aktivieren, wenn der Pegel der fünften Harmonischen z. B. 50 % überschreitet. Damit die Entblockierungswerte korrekt ausgewählt werden, ist es notwendig, die Magnetisierungseigenschaften des Transformators zu kennen.

SYMPATHETIC INRUSH

Wie zuvor bereits erwähnt, beeinflusst der Einschaltstrom nicht nur den zugeschalteten Transformator. Er wirkt sich vielmehr auch auf alle parallel geschalteten Transformatoren aus. Dieser Effekt ist als Sympathetic Inrush bekannt. Dieser tritt selten und wenn, dann v.a. in Hoch- und Höchstspannungsnetzen auf.

Eine einfache Anordnung dafür zeigt Abb. 3: Wenn ein Transformator T2 mit einem bereits energetisierten Transformator T1 zusammengeschaltet wird, fließt ein Einschaltstrom in Transformator T2. Dieser asymmetrische Strom, der vom Netz bezogen wird, verursacht einen verzerrten Spannungsabfall am Widerstand des vorgelagerten Systems. 

Abb. 3 Schema einer 2-Transformator- Anordnung [8]

Da der magnetische Fluss im Transformatorkern proportional zur Spannungswellenform an dem Transformatorwicklungsanschluss ist, wird der Transformatorkernfluss asymmetrisch, was zu einem Einschaltstrom in Transformator T1 führt, nur wenige Zyklen nach dem Einschalten von T2.

Daher hängt der Einschaltstrom vom Systemwiderstand Rsystem ab. Je höher der Widerstand, d. h schwächer das System, desto höher ist dieser [7]. Die Höhe ist viel niedriger als ein normaler Einschaltstrom, aber bleibt in beiden Einheiten viel länger erhalten – siehe Abb. 4.

Abb. 4 Ersatzschaltbild der 2-Transformator-Anordnung [8]

Dann beginnt die Gleichstromkomponente der Einschaltströme in der Schleife zu zirku-lieren, die durch die Primärwicklungen von T1 und T2 gebildet wird. Da die Richtung dieses Gleichstromflusses in T2 der von T1 entgegengesetzt ist, werden die Transformatorkerne in entgegengesetzte Richtungen gesättigt, und daher tritt die Stromspitze in den zwei Wicklungen in abwechselnden Halbwellen in entgegengesetzten Richtungen auf – siehe Abb. 5. Der Einschaltstoßstrom bleibt bestehen, bis diese DC-Komponente abklingt. Wenn sich die abklingenden Gleichstromkomponenten von zwei Strömen ausgleichen, verschwindet die DC-Komponente in dem Einschaltstrom, aber es gibt immer noch Gleichstromkomponenten in den Magnetisierungsströmen beider Transformatoren. Die Reduktion dieser „eingefangenen“ DC-Komponenten kann ziemlich langsam sein, wobei ein ausgeprägter Einfluss der höheren Harmonischen im Transformatorstrom vorhanden ist. Der Strom, der von der Leitung gezogen wird, ist die Summe der Trafo- Einschaltströme von T1 und T2 (unter der Annahme, dass T1 im Leerlauf ist) und derselbe wird nahezu ein symmetrischer Überstrom sein, wobei die harmonische Begrenzung des Relais umgangen wird.

Abb. 5 Stromverlauf bei Sympathetic Inrush in T1, T2 und Netz [6]

Die Betriebsfolge oder der Störeffekt des sympathischen Einschaltstroms ist normalerweise harmlos, kann jedoch manchmal zu Problemen führen. Diese sind:

1. ein längeres Brummen im bereits funktionierenden Transformator. Normalerweise wird dies die Hauptbeschwerde von Benutzern sein, die einen Defekt in der Arbeitseinheit vermuten – aufgrund der Kernsättigung durch Gleichstrom, der zwischen den Einheiten zirkuliert.

2. Auslösung des Differentialrelais, wenn dieses beide Einheiten schützt. In seltenen Fällen kann die Auslösung auch bei einzelnen Relais auftreten, besonders wenn das angeschlossene Netz schwach ist. Der Netzstrom, der die Transformatoren speist, ist symmetrisch und ohne die Komponenten der zweiten Harmonischen. Dies führt zur Auslösung des gemeinsamen Differentialrelais.

3. Auslösung des Unterspannungsrelais an der Sekundärseite des Transformators durch die vom Einschaltstoßstrom erzeugte, verzerrte Spannung. 

ZUSAMMENFASSUNG

Die Sperrung des Differentialrelais bei Vorhandenseins höherer Harmonischer, die während des Einschaltstoßstroms der Magnetisierung und der Übererregung des Energietransformators auftreten, stellt eine zuverlässige Stabilisierung dar. Die CWA-Methode kann sogar helfen, die durch Oberwellen hervorgerufene Schutz-Blockierung bei internen Fehlern aufzuheben, und unnötige Auslöseverzögerungen verhindern.

Der Sympathetic-Inrush-Strom, der beim Zuschalten eines Transformators zu parallel in Betrieb befindlichen Transformatoren auftritt, fließt auch an den schon bespannten Umformern. Dieser und auch die Fälle von Netzspannungsänderungen durch das Eintreten oder Abschalten von externen Fehlern führen zu Magnetisierungsströmen während des Betriebs.

Quellen

1 A. K. B. Kasztenny, An Improved Transformer Inrush Restraint Algorithm, GE Power Management, http://pm.geindustrial.com/faq/Documents
2 C. W. G. R. W. K. Sonnemann, Magnetizing inrush phenomena in transformer banks, AIEE Trans., 77, S. 884-892, 1958
3 GEC Alsthom, Protection Relay Application Guide, 1986
4 S. Z. G. B. H. A. A. Guzmán, A Current-Based Solution for Transformer Differential Protection - Pt. 1: Problem Statement, IEEE Transactions On Power Delivery, Vol. 16; 4: S. 485-491, 2001
5 IEEE Standard C37.91, IEEE Guide for Protective Relay Applications to Power Transformers
6 A. G. Stanley H. Horowiz, Power System Relaying, Research Studies Press Limited, 2008
7 Siemens, SIPROTEC 5 Transformatordifferentialschutz, 2016
8 B. P. J. F. H. Abdull Halim, Energising inrush current transients in parallel-connected transformers, Lyon:CIRED, 2014

Die 4. Ausgabe 2018 - Transformator­differential­schutz ist da!

Hier können Sie die 4. Ausgabe 2018 als PDF herunterladen.

weiterlesen

Transformator­differential­schutz - PRÜFVERFAHREN

Die Stromdifferenz gehört neben dem Überstromzeitschutz zu den ältesten Schutzkriterien. Schon seit geraumer Zeit wird der Differentialschutz genutzt, um vor allem Transformatoren schnell und...

weiterlesen