IP­-basierte Wirkschnitt­stelle von Sprecher Automation

Die in der Vergangenheit verwendeten getakteten Kommunikationsnetzwerke für die Wirkschnittstelle beim Leitungsdifferentialschutz werden sukzessive von Ethernet-Netzwerken abgelöst. Durch die mittlerweile großflächige Verfügbarkeit und zuverlässige Technologie von Ethernet Wide Area Networks ist es technisch und wirtschaftlich sinnvoll, diese hochverfüg­baren Kommunikationsinfrastrukturen für die Wirkschnittstelle des Leitungsdifferentialschutzes zu verwenden. Auf Basis der langjährigen Erfahrung im Bereich der Schutz- und Leittechnik hat die Firma Sprecher Automation die bewährte SPRECON-E-P-Schutzgerätereihe um einen modernen Leitungsdifferentialschutz erweitert, der mit einer Ethernet-basierten Wirkschnitt­stelle ausgestattet ist.

von Andreas Aichhorn Datum 02.06.2017

Leitungsschutz

EINLEITUNG

Aufgrund des Funktionsprinzips eines Leitungsdifferentialschutzes ist es notwendig, die Messdaten der Leitungsenden jeweils an die Gegenseite zu übertragen, damit die Differenz- und Stabilisierungsströme berechnet werden können. In Abb 1 ist die prinzipielle Anordnung eines Leitungsdifferentialschutzes dargestellt. Das Kommunikationsinterface, der essentielle Bestandteil eines Leitungsdifferentialschutzes, ist für diesen Messdatenaustausch zuständig und wird als Wirkschnittstelle bezeichnet. Da die übertragenen Daten maßgebend für das Auslösekriterium sind, werden an diese Kommunikation sehr hohe Anforderungen gestellt. Eine zuverlässige Abschaltung im Fehlerfall ist die primäre Aufgabe, hingegen darf keine Überfunktion (Auslösebefehl im fehlerfreien Zustand) des Schutzgerätes auftreten.

Für die Gewährleistung einer exakten und zuverlässigen Abschaltung im Fehlerfall ist es notwendig, dass die Abtastung der Messwerte an beiden Leitungsenden exakt miteinander synchronisiert ist (<10 μs), da eine zeitversetzte Abtastung zu einem scheinbaren Differenz- strom und in der Folge zu einer Über- oder Unterfunktion führen kann, siehe Abb. 1.

Abb. 1 Anordnung Leitungsdifferentialschutzgeräte / zeitliche Zuordnung der Messwerte

AUFGABE DER WIRKSCHNITTSTELLE

Die Wirkschnittstelle wird für die Übertragung der folgenden Informationen verwendet:

  • Zeitsynchronisationsnachrichten
  • Messwerte (auf Sample-Basis)
  • frei programmierbare binäre Signale

KOMMUNIKATIONSTECHNOLOGIE FÜR DIE WIRKSCHNITTSTELLE

Die einfachste Möglichkeit zur Realisierung der Wirkschnittstelle ist aus technischer Sicht die Verwendung einer separaten Glasfaserleitung. Ist jedoch keine separate Verbindung verfügbar, so muss eine andere geeignete Kommunikationsinfrastruktur verwendet werden.

Die in der Vergangenheit etablierten Technologien, z. B. getaktete Verbindungen wie Synchronous Digital Hierarchy (SDH), die auf dem Zeitschlitzverfahren (Time Division Multiplexing (TDM)) beruhen, werden aus technischen und wirtschaftlichen Gründen sukzessive durch paketorientierte (Packet Switched Networks – PSN) Ethernet-Netzwerke ersetzt, wie beispielsweise Multi Protocol Label Switching (MPLS). Die Emulation der getakteten Verbindungen (TDM) über paketorientierte Netzwerke (PSN) ist mit sehr hohem Aufwand verbunden und stellt keinen geeigneten Ersatz dar. Das unterschiedliche Zeitverhalten von getakteten im Vergleich zu paketorientierten Netzwerken wirkt sich hauptsächlich auf die Synchronisation der Messwerterfassung aus. Aus technischer Sicht wäre es möglich, externe Zeitgeber für die notwendige Zeitsynchronisation zu verwenden, die jedoch mit einem Mehraufwand und somit mit Mehrkosten ver- bunden sind.

Sprecher Automation verwendet für die notwendige Zeitsynchronisation jenen Kommunikationskanal, der ohnedies bereits für den Messdatenaustausch benötigt wird. Für dieses Konzept sind keine zusätzlichen und aufwendigen Umsetzer, spezielle Netzwerkgeräte oder externe Zeitgeber erforderlich.

SYNCHRONISATION DER MESSWERT-AUFNAHME

Wesentlich bei der Zeitsynchronisation ist, dass beide Geräte nach der selben Zeit arbeiten, wobei die absolute Zeit in diesem Kontext nicht von Bedeutung ist. Die Synchronisation kann entweder über ein externes Signal oder über den Kommunikationskanal realisiert werden.Da das Verfahren mit externem Signal mit erhöhtem Aufwand verbunden ist, verwendet der SPRECON-Leitungsdifferentialschutz den Kommunikationskanal, um das Konzept in der Anwendung möglichst einfach zu halten.

Für die Realisierung einer hochgenauen Zeitsynchronisation über den Kommunikationskanal mit einer Genauigkeitsanforderung von <10 μs wäre das IEEE 1588-2008 Precision Time Protocol (PTP) prädestiniert. Gemäß diesem Protokoll wird der Kommunikationskanal für den Austausch von Synchronisationsnach- richten verwendet. Nachteilig dabei ist die Notwendigkeit von korrigierenden Uhren bei jedem Netzwerkgerät (Switch bzw. Router) entlang des Kommunikationspfades. Die korrigierenden Uhren, die im Standard als Boundary bzw. Transparent Clock bezeichnet werden, kompensieren die Verweilzeit der Synchronisationsnachricht im jeweiligen Netzwerkgerät, wodurch die gesamte Kommunikationsinfrastruktur dieses Protokoll unterstützen muss. Sprecher Automation hat einen Zeitsynchronisationsalgorithmus entwickelt, bei dem der Austausch der Zeitinformation über das Kommunikationsnetz erfolgt, ähnlich wie beim PTP. Die Regelung der zu synchronisierenden Uhr erfolgt hier jedoch mit einem neuartigen Verfahren, das auch zum Patent angemeldet wurde. Bei diesem Verfahren be- nötigt man keine speziellen Geräte/Funktionen in der Netzwerkinfrastruktur. Ein Langzeit-Praxistest in einem aktiven IP/MPLS-Netzwerk mit realer Auslastung zeigte, dass die vorgegebene Synchronisationsgenauigkeit von 10 μs in jedem Fall eingehalten wird. Die verwendete Topologie für den Test bestand aus 14 Routern und einer Entfernung von ca. 300 km, welche für die Distanz beim Leitungsdifferentialschutz einem realen Szenario entspricht. Die maxi- male Abweichung der Uhren zueinander liegt bei diesem Testszenario bei <5 μs. Abb. 2 zeigt einen Ausschnitt des Synchronisationsverlaufes bei diesem Praxistest.

Abb.2 Zeitsynchronisationsgenauigkeit

BACKUP-STRATEGIE BEI KOMMUNIKATIONSSTÖRUNG

Prinzipiell entspricht ein Kommunikationsausfall beim Leitungsdifferentialschutz dem Ausfall des Schutzsystems. Der SPRECON-Leitungsdifferentialschutz beinhaltet einen Backup-Schutz, der trotz einer Kommunikationsunterbrechung aktiv ist. Es wird ein alternatives Schutzsystem verwendet, welches keine Kommunikation benötigt, wie beispielsweise UMZ/AMZ- oder Distanzschutz. Die Umschaltung vom Normalbetrieb auf den Backup-Schutz erfolgt unterbrechungsfrei, sodass das zu schützen- de Objekt permanent abgesichert ist. Nach erfolgreichem Wiederaufbau der Kommunikation schaltet der SPRECON-Leitungsdifferentialschutz automatisch vom Backup-Schutz wieder auf den Hauptschutz zurück.

SECURITYKONZEPT

Die von Sprecher Automation entwickel- te Wirkschnittstelle überträgt die Messdaten und die Zeitinformation in Form von IP-Paketen, wodurch State-of-the-Art-Methoden, wie beispielsweise IPsec, für die Absicherung/Verschlüsselung der Datenverbindung verwendet werden können. Auf Basis der von Sprecher Automation entwickelten Zeitsynchronisation ist es möglich, eine End-to-End-Verschlüsselung zu realisieren. Bei PTP ist prinzipbedingt keine End-to-End-Verschlüsselung möglich, da bei jedem Netzwerkgerät eine korrigierende Uhr das Synchronisationspaket bearbeiten muss. Abb. 3 zeigt diesen Unterschied bei Verwendung von PTP (rote Linie) im Vergleich zu der von Sprecher Automation entwickelten Zeitsynchronisation (blaue Linie). Es ist ersichtlich, dass die Ver- und Entschlüsselungskette bei PTP einen deutlichen Mehraufwand mit sich bringt und das Gesamtsystem dadurch auch leichter angreifbar macht, da jeder Router die notwendigen Schlüssel besitzen muss und ein kryptografisches System nur so stark ist wie das schwächste Element im Gesamtsystem.

Abb. 3 Topologie / Verschlüsselung

ZUSAMMENFASSUNG

Durch die Abkündigung der TDM-basierten Kommunikationsnetze, wie bspw. SDH, und die Etablierung von Ethernet-WANs war es not- wendig, das Konzept der Wirkschnittstelle neu zu überdenken. Das von Sprecher Automation entwickelte Konzept basiert auf Ethernet und ist bestens geeignet für WAN-Infrastrukturen, wie IP/MPLS oder Carrier-Ethernet.

Diverse Kommunikations- und Funktionstests wurden bereits erfolgreich durchgeführt. Die dafür verwendeten Kommunikationsnetze waren übliche aktive Netze von Energieversorgungsunternehmen.

Das Verhalten bei einer Kommunikationsstörung bzw. eines Reroutingvorganges war ohne Überfunktion, auch bei Einspeisung eines Differenzstroms nahe der Auslösegrenze. Alle durchgeführten Praxistests verliefen positiv. Die sukzessive Abkündigung von TDM-basierten Netzen erfordert die Verwendung der Ethernet-basierten Wirkschnittstelle.

Sprecher Automation bietet mit der universel- len Schutz- und Automatisierungsplattform SPRECON bereits heute erprobte Lösungen an, die diese zukünftigen Anforderungen er- füllen und bei verschiedensten international namhaften Energieversorgern erfolgreich im Einsatz sind.

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