ZUVER­LÄSSIGE IMPEDANZ­BERECHNUNG FÜR LEITER-ERDE-SCHLEIFEN

Bekannte Distanzschutzalgorithmen zur Bestimmung der Leiter-Erde-Schleifenimpedanz arbeiten mit komplexen Spannungs- und Stromzeigern oder basieren auf der Lösung der Differentialgleichungen mit Abtastwerten von Strom und Spannung. Ein neues, ebenfalls mit Abtastwerten arbeitendes Admittanz-Verfahren hat einige Vorteile gegenüber den bekannten Methoden.

von Carlo Liebermann, Jörg Meyer, Peter Schegner, Michael Kleemann Datum 18.09.2017

Leitungsschutz

Nicht nur für die Kurzschlusserfassung auf Freileitungen und Kabeln, sondern auch in Transformatoren und Maschinen wird der Distanzschutz sehr erfolgreich angewendet. Er ist ein universal einsetzbarer Kurzschlussschutz, welcher die Mitsystemimpedanz der Fehlerschleife auswertet. Das Distanzschutzprinzip kann auch bei geringen Kurzschlussströmen eingesetzt werden. Eine hohe Selektivität wird dabei durch die Kombination der Zeit- und Reaktanzstaffelung erreicht. Oberste Priorität hat die schnellstmögliche und selektive Klärung des Fehlers, um Personen und Betriebsmittel zu schützen und entstehende Schäden zu minimieren. Dies gilt insbesondere für Leiter-Erde-Fehler, die häufigste Fehlerart. In diesem Artikel werden verschiedene Verfahren zur Berechnung der Mitsystemimpedanz bei Leiter-Erde-Fehlern vorgestellt und verglichen.

DEFINITION DER LEITER-ERDE-SCHLEIFE

Als Messgrößen stehen dem Distanzschutz i. d. R. die drei Leiter-Erde-Spannungen (U L1-EU L2-E,  U L3-E) und die drei Leiterströme (I L1 , I L2,  I L3) zur Verfügung. Der Erdstrom I E kann übereine Holmgreenschaltung oder über Umbauwandlerals Messgröße zur Verfügung gestellt werden. Erfolgt dies nicht, wird der Erdstrom über Gl. 1 berechnet.

Aus diesen Messgrößen lassen sich die Schleifenimpedanzen der drei Leiter-Leiter-Schleifen und der drei Leiter-Erde-Schleifen berechnen. Die Berechnung der Leiter-Erde-Schleifen erfolgt nach Abb. 1.

a) Fehler in der Leiter-Erde-Schleife L1-E

b) Allgemeine Darstellung von Fehlern in Leiter-Erde-Schleifen

Abb. 1 Darstellung von Leiter-Erde-Fehlern

Die allgemeine Darstellung nach Abb. 1b gilt für die entsprechend ausgewählte Fehlerschleife. Die im Falle eines Leiter-Erde-Fehlers zu berechnende Impedanz ergibt sich aus der Gl. 2 der fehlerbetroffenen Leiter-Erde-Schleife. Gl. 2

Um unabhängig von der Fehlerschleife die gleiche Impedanz zur Bestimmung der Fehlerentfernung zu verwenden, wird wie bei Leiter-Leiter-Fehlern auch bei Leiter-Erde-Fehlern die Mitsystemimpedanz Z 1 berechnet. Für die Kompensation der Erdimpedanz Z E werden zwei Methoden verwendet.

Methode 1 – mit komplexem Erdfehlerfaktor k E
Bei dieser Variante wird aus der Ansatzmaschengleichung die gesuchte Mitsystemimpedanz separiert:
Gl. 3

Und danach umgestellt:

Gl. 4

Der konstante Erdstromkompensationsfaktor (k E - Faktor) ist dabei ein fehlerentfernungsunabhängiger, komplexer Drehoperator, welcher zuvor aus den Leitungsparametern nach Gl. 5 berechnet wird und im Schutzgerät parametriert werden muss.
Gl. 5

Bei einer fehlerhaften Einstellung des k - Faktors kommt es zu Abweichungen bei der Berechnung der Mitsystemimpedanz. Dies trat vor allem bei elektromechanischen Relais auf, dabei diesen zwar die Zeigerlänge k E aber nicht der Winkel berücksichtigt werden konnte. Bei Freileitungen ist der Winkel des k - Faktors in der Regel klein, wodurch es bei einer betragsmäßigen Einstellung auch nur zu kleinen Abweichungen kommt. Größere Fehler ergaben sich bei Kabelstrecken, da hier der Winkel des k - Faktors nicht mehr vernachlässigt werden kann.

Methode 2 – Trennung der Erdimpedanz [1]
Bei dieser Variante erfolgt zunächst die Trennung der Impedanz in Real- und Imaginärteil. Mit Z 1 '= R 1'+  jX 1' und Z E'= R E' + jX E' geht Gl. 2 in Gl. 6 über.
Gl. 6

Weiter umgestellt ergibt sich:

Gl. 7

Im Gegensatz zur Berechnung mit einem komplexen k - Faktor sind hier zwei reelle Faktoren k RE und k XE wie in Gl. 8 und Gl. 9 dargestellt, zur Erdstromkompensation erforderlich.
Gl. 8

Gl. 9

Resistanz und Reaktanz der Mitsystemimpedanz lassen sich nach Aufteilung der Gl. 6 in Real- und Imaginärteil entsprechend den Gl. 10 und Gl. 11 berechnen.
Gl. 10

Gl.11

UNTERSCHIEDE BEIDER METHODEN

Der Unterschied zwischen beiden Methoden ist die Interpretation bzw. Einbindung des k - Faktors bei der Berechnung der Mitsystemimpedanz. Dabei liefern beide Methoden bei impedanzlosen Kurzschlüssen identische Werte. Unterschiede ergeben sich bei Übergangswiderständen an der Fehlerstelle, wie sie bei Lichtbogenfehlern zu erwarten sind. Hier treten bei reellen k - Faktoren Verfälschungen der Resistanz bei beiden Verfahren auf. Bei komplexen k - Faktoren wird bei Methode 1 zusätzlich die Reaktanz verfälscht.

DISTANZSCHUTZALGORITHMEN ZUR BESTIMMUNG DER LEITER-ERDE-SCHLEIFENIMPEDANZ

Im vorangegangenen Abschnitt wurde dargestellt, wie mit komplexen Spannungs- und Stromzeigern die Fehlerimpedanz der Leiter-Erde-Schleife als Mitsystemimpedanz berechnet werden kann. Für die Anwendung dieser Gleichung ist die Kenntnis der komplexen Spannungs- und Stromzeiger Voraussetzung. Es gibt Algorithmen, welche diese Zeiger ermitteln, wie z. B. der Phadke-Ibrahim-Algorithmus [2]. Die Berechnung komplexer Grundschwingungszeiger aus Abtastwerten dauert mindestens eine Grundschwingungsperiode. Beim Einsatz derartiger Algorithmen tritt nach einer Systemzustandsänderung, wie beispielsweise nach einem Fehlereintritt bei der Impedanzberechnung, eine Zeitverzögerung von mindestens der Länge einer Grundschwingungsperiode auf, da die Datenfenster erst mit Abtastwerten des neuen Systemzustandes gefüllt werden müssen. Schnelle Distanzschutzalgorithmen basieren auf der Lösung der Differentialgleichung Gl. 12 der Fehlerschleife im Zeitbereich (Leitungskapazitäten vernachlässigt):
Gl. 12

Mit

Gl. 13

Hierbei werden direkt aus den Abtastwerten von u L-E, i L und i E die Resistanz und die Induktivität der Fehlerschleife berechnet. Die zeitaufwendige Berechnung der komplexen Spannungs- und Stromzeiger ist nicht notwendig. Als Lösungsansätze für die Gl. 12 werden integrierende Verfahren, wie z. B. der McInnes/Morrison-Algorithmus [3], oder differenzierende Verfahren, wie z. B. Lobos A3 oder A4 [4],verwendet.
Die Herausforderung besteht darin, den komplexen Erdfehlerfaktor k E bei der Berechnung mit Momentanwerten nach Methode 1 zu berücksichtigen. Dies kann bspw. mit Hilfe der im Folgenden dargestellten unterschiedlichen Verfahren erfolgen.

BERÜCKSICHTIGUNG MIT ZEITLICHEM VERSCHIEBEN DES MOMENTANWERTVERLAUFES (k E VER)

Bei dem Verfahren k E Ver wird der Zeitverlauf des Erdstromes mit dem Betrag des k - Faktors multipliziert. Der Winkel wird durch zeitliches Verschieben des Kurvenverlaufes des Erdstromes nach Gl. 14 berücksichtigt.
Gl. 14

Damit kommt es bei positiven Winkeln des k - Faktors zu einer Zeitverzögerung t Verz nach Gl. 15, da Abtastzeitpunkte berechnet werden müssen, welche zum betrachteten Zeitpunkt noch nicht zur Verfügung stehen.
Gl. 15

Die zeitdiskreten Werte müssen bei einer Verschiebung um eine nichtganzzahlige Anzahl von Abtastpunkten, welche zwischen zwei Abtastzeitpunkten liegen, durch eine Approximation des Kurvenverlaufes numerisch berechnet werden. Zur Minimierung des Rechenaufwandes werden vorwiegend Polynome ersten Grades verwendet. Dabei treten, wie in Abb. 2 dargestellt, durch den linearen Polygonzug Abweichungen bei der Berechnung des Stromwertes und somit auch bei der Impedanz auf.

Abb. 2 Fehler bei der Berücksichtigung des kE-Faktors durch lineare Kurvenapproximation

Bei sinusförmigen Kurvenverläufen und hohen Abtastfrequenzen liefert das Verfahren korrekte Ergebnisse. Bei verzerrten Prozessgrößen oder überlagerten Oberschwingungen kann es bei der Approximation des Kurvenverlaufes zu Fehlern bei der Berechnung des Funktionswertes kommen. Enthält der Erdstrom ein abklingendes Gleichglied, führt dies durch die zeitliche Verschiebung der Abtastpunkte zur Verfälschung der Berechnungsergebnisse.

BERÜCKSICHTIGUNG DURCH NUMERISCHEDIFFERENTIATION (kE Diff)

Das Verfahren k E Diff beruht auf der Idee, den Winkel des Drehoperators durch eine numerische Differentiation des Summenstromes zu berücksichtigen. Da eine numerische Differentiation als Drehung um 90° im Frequenzbereich zu verstehen ist (Multiplikation mit jω), kann diese ausgenutzt werden, um den k - Faktor zu berücksichtigen. Mit der Aufteilung des k - Faktors in Real- und Imaginärteil lässt sich der in Gl. 13 geschriebene Ausdruck zur Stromberechnung des korrigierten Erdstromes entsprechend Gl. 16 umformen.
Gl. 16

Der Abtastwert des Erdstromes wird mit dem Realteils des k - Faktors multipliziert. Der numerisch differenzierte und auf ω normierte Erdstrom wird mit dem Imaginärteil des k - Faktors multipliziert. Der damit berechnete Momentanwert kann zur Berechnung nach Gl. 13 verwendet werden. Auch dieses Verfahren rechnet für rein sinusförmige Stromverläufe exakt. Fehler entstehen durch abklingende Gleichanteile im Kurzschlussstrom, da diese sich im gesamten Frequenzspektrum abbilden und durch die Differentiation verstärkt werden. In Abb. 3 sind die Spektralfunktionen exemplarisch dargestellt. Zudem führen auch höherfrequente Störgrößen, wie beispielsweise Oberschwingungen und Rauschen, zu Abweichungen.

Abb. 3 Frequenzspektrum von abklingender DC-Komponente und Differentiation (illustrativ)

Die Berechnung des Erdstromdifferentials führt außerdem zu einer zusätzlichen Zeitverzögerung, wenn diese mit dem Vorwärtsdifferenzenquotienten oder dem zentralen Differenzenquotienten bestimmt wird.

BERÜCKSICHTIGUNG MIT NEUEM ADMITTANZ-VERFAHREN [5] (k E Adm)

Da nach der Invertierung von Gl. 4 keine Summe im Nenner auftritt, kann die invertierte Impedanz als Differenz der Admittanzen Y L und k EY E aufgefasst werden.
Gl. 17

Die Admittanzen Y L und Y E können als reziproke Berechnungsergebnisse ursprünglicher Distanzschutzalgorithmen interpretiert werden. Dabei wird dem jeweiligen Algorithmusein Vektor mit Abtastwerten von Strom- und Spannungswerten i L bzw. i E und u L–E übergeben.
Gl. 18

Gl. 19

Die resultierende Mitsystemimpedanz der Leiter-Erde-Schleife berechnet sich aus der reziproken Differenz der Admittanzen Y L und k EY E Die Admittanz Y L berechnet sich aus Leiterstrom und Leiter-Erde-Spannung. Aus dem Summenstrom und der Leiter-Erde-Spannung wird die Admittanz Y E bestimmt.
Gl. 20

Wesentliche Vorteile des Verfahrens sind, dass höherfrequente Signalanteile nicht verstärkt werden, zeitliche Verzögerungen nicht auftreten und abklingende Gleichanteile im Leiter bzw. Erdstrom keinen Einfluss auf das Berechnungsergebnis haben.

VERGLEICH DER VERFAHREN

Der Vergleich basiert auf den Daten eines typischen 400-kV-Netzausschnittes mit Freileitung (Donaumastbild). Damit der Einfluss zwischen den Verfahren k E Ver, k E Diff und k E Adm verdeutlicht werden kann, wird ein Distanzschutzalgorithmus gewählt, welcher den abklingenden Gleichanteil im Kurzschlussstrom benötigt und durch die betrachtete Oberschwingung nicht ideal arbeitet. Zwei Signalverläufe werden dafür generiert.

IDEALE PROZESSGRÖSSEN

Simuliert wird ein impedanzloser Kurzschluss bei einer rein sinusförmigen Quellspannung. Der Kurzschlussstromverlauf ist vollverlagert. Abb. 4a zeigt, dass die Berechnung durch den abklingenden Gleichanteil des Erdstromes bei den Verfahren k E Ver und k E Diff verfälscht wird, was sich mit einem Schwingen der berechneten Resistanz und Reaktanz um den Referenzwert abzeichnet. Da die Berechnung nach Verfahren k E Adm keine Abtastwerte verschiebt oder Signalanteile verstärkt, entspricht die berechnete Impedanz nach der Eigenzeit des Algorithmus dem Referenzwert.

PROZESSGRÖSSEN MIT ÜBERLAGERTER OBERSCHWINGUNG

Simuliert wird ein impedanzloser Kurzschluss mit einem Oberschwingungspegel von 10 % der dritten Harmonischen. Der Kurzschlussstromverlauf ist vollverlagert. Durch die überlagerte Oberschwingung kommt es, wie in Abb. 4b dargestellt, auch hier bei der Berechnung zu einem periodischen Schwingen um den Referenzwert. Dieses Verhalten ist für den eingesetzten Algorithmus typisch. Während bei den Verfahren k E Ver und k E Diff eine ausgeprägte Verfälschung festgestellt wird, liefert das Verfahren k E Adm deutlich stabilere Berechnungsergebnisse, da überlagerte Oberschwingungen nicht verstärkt werden.

a) ideale Prozessgrößen

b) verzerrte Prozessgrößen

Abb. 4 Berechnungsergebnisse

FAZIT

Beim Einsatz von Abtastalgorithmen kann der komplexe k - Faktor durch verschiedene Verfahren in die Berechnung der Mitsystemimpedanzein gebunden werden. Es konnte gezeigt werden, dass das neuartige Admittanzverfahren k E Adm dafür besonders geeignet ist. Da abklingende Gleichanteile dieses Verfahren nicht beeinträchtigen, kann ein Distanzschutzalgorithmus damit die Mitsystemimpedanz für Leiter-Erde-Fehler deutlich schneller und genauer bestimmen. Zudem entfällt die zeitliche Verzögerung, welche konventionelle Verfahren erfordern. Es sind also weitaus kürzere Kommandozeiten realisierbar. Das Admittanzverfahren erfordert mehr Rechenleistung bei der praktischen Realisierung, da der Distanzschutzalgorithmus doppelt so häufig aufgerufen wird. Dennoch ist es technisch umsetzbar – in einem prototypischen Schutzgerät ist es inzwischen implementiert worden. Eine Vielzahl von Tests konnte die Leistungsfähigkeit des Admittanzverfahrens bestätigen.

Quellen

1 G. Ziegler, Digitaler Distanzschutz. Grundlagen und Anwendungen, S. Aktiengesellschaft (Hg.), Erlangen 2008
2 A. Phadke, T. Hlibka, M. Ibrahim, A digital computer system for EHV substations: Analysis and field tests. In: IEEE Transactions on PAS, vol. PAS-95, 1976, S. 291–301
3 A. McInnes, I. Morrison, Real time calculation of resistance and reactancefortransmission line protection by digital computers. In: Electrical Engineering Transactions, Institute of Engineers of Australia, 1971, S. 16–23
4 H.-J. Koglin, T. Lobos,Distanzschutz mit Mikrorechnern. In: etzArchiv, Band 3, Heft 6, 1981, S. 166–177
5 Sprecher Automation GmbH, Erfinder: Carlo Liebermann, Jörg Meyer und Michael Kleemann, „Verfahrenzur Steuerung eines Distanzschutzrelais durch Erkennung von Leiter-Erde-Fehlern“

Die 2.Ausgabe von NETZSCHUTZ ist da!

Hier können Sie die 2.Ausgabe als PDF herunterladen und einen Gesamteindruck vom NETZSCHUTZ Magazin bekommen.

weiterlesen

ALLES EINE FRAGE DER DEFINITION

Zur selektiven und schnellen Messung des Distanzschutzes ist vor allem die Verfälschung von Messgrößen aufgrund von Stromwandlersättigung auf definierte Grenzen zu beschränken. Im folgenden Beitrag...

weiterlesen