INFRASTRUKTUR-SCHUTZ-ANWENDUNG

Die folgende Beschreibung einer Infrastruktur-Schutzanwendung zeigt am Beispiel von Transformatorstationen einer Autobahnstrecke, wie mit Hilfe eines kombinierten Sperrverfahrens eine anlagenweite geringe Auslösezeit erreicht werden kann und durch niederohmige Sternpunkterdung mittels Sternpunktwiderstand auch im Mittelspannungsnetz eine zuverlässige Erdschlussauslösung durch Distanzschutzrelais möglich ist.

von Peter Schitz Datum 18.09.2017

Leitungsschutz

ANLAGENKONFIGURATION

Die Versorgung von sechzehn 20-kV-Transformatorstationen einer über 24 km langen Autobahnstrecke in Oberösterreich mit mehreren Tunnelstrecken wurde vom Anlagen-Betreiber ASFINAG mit 30/20-kV-Transformatoren vom öffentlichen Netz entkoppelt. Diese Kuppeltransformatoren wurden auf der 20-kV-Ebene mit Sternpunktwiderständen ausgerüstet. Die Höhe des Widerstands wurde in Abhängigkeit vom maximalen Laststrom und dem Stromwandlernennstrom gewählt und der Erdschlussstrom vom Planer mit 100 A festgelegt.
Die Versorgung der Strecke erfolgt im Normalbetrieb von beiden Seiten mit einer Trennstelle in der Mitte der Strecke. Der Transformatorschutz in den Unterstationen wurde aufgrund der geringen Leistungsgrößen mit HH-Sicherungen und Temperaturüberwachung durchgeführt.

SCHUTZKONZEPT

Für den Schutz der Kabelstrecken wurden vom Betreiber in den Kabelfeldern der speisenden Stationen am linken und rechten Ende sowie an zwei ausgewählten Transformatorstationen entlang der Strecke sechs Stück Distanzschutzgeräte definiert (Abb. 1). Daraus ergeben sich 3 Kabelbereiche. Alle Geräte wurden mit einer LWL-Schnittstelle für die direkte Kommunikation der Distanzschutzgeräte zwischen 2 Stationen ausgerüstet. Abb. 2 zeigt die Konfiguration und das für die schutztechnische Betrachtung wichtige „Worst case”-Schaltszenario mit nur einer Einspeisung für die gesamte Strecke.

 

 

Abb. 1 Übersicht des 20-kV-Netzes mit 6 Stk. Distanzschutzgeräten in 4 Stationen (orange markiert)

Abb. 2 Übersicht der 20-kV-Distanzschutzgeräte mit Sperrsignalen via LWL und Binärbus

Abb. 3 Sperrsignale zwischen Stationen im Fehlerfall und Versorgung von einer Seite

Die Aufgabe für die Schutzparametrierung bestand im korrekten Definieren der Zonenweiten für den Kurzschluss- und Erdschlussfall und der Realisierung einer Maximal-Auslösezeit an den 20-kV-Einspeisungen von < 0,5 s. Dies erforderte die Einführung von Sperrsignalen sowohl stationsübergreifend für die Übergreifzonen als auch für eine stationsinterne, rückwärtige Verriegelung der Rückwärtszonen. Bei Ausfall der Spannungsmessung wurden Not-UMZ-Stufen aktiviert und diese, mit Hilfe der zuvor beschriebenen Sperrsignale, mit rückwärtiger Verriegelung ausgeführt. In der Endausführung konnte eine maximale anlagenweite Auslöseszeit von 0,2 s erreicht werden (Abb. 4). Die 0,2 s Auslösezeit ermöglicht die sichere Staffelung zu den HH-Sicherungen in den Transformator abzweigen.

Abb. 4 Staffelplan Distanzschutz ohne Endzeit des UMZ-Schutzes in den Einspeisungen

Als letzte Instanz auf der 20-kV-Ebene wurden UMZ-Schutzgeräte in den 30/20-kV-Transformatoreinspeisungen installiert, deren I>>-Stufe ebenfalls in die rückwärtige Verriegelung eingebunden wurde. Die I>-Stufe wurde zur Erfüllung der o. a. Vorgaben ungesperrt mit 0,5 s ausgeführt.

ERDFEHLERBEHANDLUNG

Aufgrund des ausreichend hohen Erdschlussstromes konnten auch die Erdschluss-Distanzschutzstufen aktiviert werden und der Erdschlussstrom dem Gerät über die Holmgreen-Schaltung zugeführt werden. Der Anregewert wurde passend zu den vorhandenen 200-A-Phasenstromwandlern und Kabelkapazitäten festgelegt. Die prinzipiellen Zonendefinitionen und die Sperrlogik wurden vom Phasenfehler-Distanzschutz übernommen. Die Staffelung wurde dem Erdschlussschutz in den Transformatorabgängen angepasst.

SCHLEIFENIMPEDANZMESSUNG

Da vor allem die Impedanzen der Erdschlussschleifen von der Beschaffenheit des Erdreichs abhängig sind, wurde eine Schleifenimpedanzmessung mit einem entsprechenden, modernen Prüfgerät durchgeführt. Dabei werden die Leitungsparameter durch die Einspeisung eines Prüfstromes in alle drei 2-Phasen-, drei Erdfehler- und der 3-phasigen Kurzschlussschleife mit Erdverbindung ermittelt. Im Gegensatz zu konventionellen Prüfmethoden mit hohen, netzfrequenten Prüfströmen arbeiten moderne Prüfsysteme mit Prüfströmen beliebiger Frequenz. Durch Messpunkte mit Frequenzen unter- und oberhalb der Netzfrequenz und Verwendung eines steilen Bandpassfilters werden die Einkopplungen bei Netzfrequenz wirksam unterdrückt (Abb. 5).
Die Berechnung der k-Faktoren für verschiedene Gerätetypen erfolgt in einem Excel-Sheet des Prüfgeräteherstellers, in dem automatisiert alle Messergebnisse der Messungen importiert, die Widerstandwerte für Nennfrequenz interpoliert und zusammengefasst angezeigt werden (Tab. 1).

 

Abb. 5 Beispiel für Schleifenmessung L1-L2

Tab.1 Ergebnisse der Kabelimpedanzmessung

BERECHNUNG DER SCHUTZPARAMETER

Mit den gemessenen Schleifenwerten konnten die Einstellwerte für die Phasen- und Erdschlussdistanzschutzstufen berechnet werden. Aufgrund der einseitigen Speisung der 20-kV-Strecke wäre ein reines UMZ-Schutz-Konzept prinzipiell ausreichend. Der Not-UMZ-Schutz ermöglicht hier durch Verwendung der Sperrsignale dieselbe Selektivität wie der Distanzschutz. Der Distanzschutz bietet mit Zone 2 einen zusätzlichen, vom Endkunden gewünschten Reserveschutz bei Ausfall eines vorgelagerten Schutzgerätes. Aus diesem Grund wurde Zone 2 bei jedem Gerät unkonventionell mit der gesamten Kabelstreck ein Vorwärtsrichtung berechnet. Dies ist sonst nur ab Vorwärtszone 3 üblich. Die Sperrsignale ermöglichen auch mit dieser hohen Reichweite von Zone 2 eine teilselektive Abschaltung.

PRÜFUNGEN

Die korrekte Programmierung und Funktion der Zonen, UMZ-Stufen und Sperrsignale im Schutzgerät wurden durch konventionelle, nur an einer Kabelseite durchgeführte Sekundärprüfungen kontrolliert. Die korrekte Übertragung der Sperrsignale über den Lichtwellenleiter bzw. über den stationsinternen Binärbus wurde durch Anregung der entsprechenden Stufen überprüft und manuell protokolliert. Den Abschluss der Prüfungen bildeten die Strom- und Spannungswandlerkreis-Prüfungen mittels Primäreinspeisung. Dabei wird nicht nur der phasen- und richtungskorrekte Pfad vom Wandler bis zum Schutzgerät, sondern auch das Schließen aller zuvor geöffneten Trennklemmen etc. überprüft. Die Überprüfung der Übersetzungseinstellungen und Leistungsrichtungen ist ebenfalls Bestandteil dieser Prüfroutinen. Abb. 6 zeigt die Sammlung aller durchgeführten Prüfungen.

Abb. 6 Sammlung aller Prüfungen in einer Datei

AUTOMATISCHE VERLAGERUNG

Um im Kabelfehlerfall dem Nachteil der Abschaltung bei niederohmiger Sternpunkterdungent gegenzuwirken, ist die Versorgung der betroffenen Stationen möglichst rasch wiederherzustellen. Um dies zu gewährleisten, werden von Kurz-/Erdschlussanzeigern, die in den Kabelfeldern aller Transformatorstationen ohne Distanzschutzgeräte installiert sind, Auslösesignale an die Leittechnik gemeldet. Mit diesen Informationen wird die fehlerhafte Strecke automatisiert ermittelt und ein automatisches Verlagern der Trennstelle eingeleitet. Die Spannungsversorgung ist innerhalb kürzester Zeit wiederhergestellt. Zur Unterstützung der Fehlersuche auf der fehlerhaften Kabelteilstrecke wurde in den Distanzschutzgeräten die Fehlerortung aktiviert und das Ergebnis an die Visualisierung übertragen.

ZUSAMMENFASSUNG

Die hier beschriebene Anwendung zeigt, wie mit Signalvergleich über weite Strecken sehr geringe Auslösezeiten realisierbar sind. Um den bei Phasen- und auch bei Erdfehlern im niederohmig geerdeten Netz rasch abgeschalteten, fehlerhaften Bereich wieder umgehend zu versorgen, wird durch entsprechende Leittechnik-Programme ein schnelles Herausschalten der tatsächlichen Fehlerstelle mit anschließender Verlagerung der Versorgung bewerkstelligt. Eventuell ist diese Anwendung auch auf die öffentliche Mittelspannungsversorgung umlegbar.

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ALLES EINE FRAGE DER DEFINITION

Zur selektiven und schnellen Messung des Distanzschutzes ist vor allem die Verfälschung von Messgrößen aufgrund von Stromwandlersättigung auf definierte Grenzen zu beschränken. Im folgenden Beitrag...

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