PARADIGMEN­WECHSEL IN DER PRÜFTECHNIK

Die Prüfung eines gesamten Schutzsystems umfasst das Testen der Funktionalität der Hardware-Komponenten ebenso wie das der Einstellwerte. Grundlegend für die Anforderungen an Prüfungsumfang und Risikosicherheit ist die gewählte Schutzphilosophie sowie ein geschärftes Verständnis der Unterschiede zwischen klassischem Kurzschlussschutz und komplex programmiertem Erdschlussschutz.

von Lothar H. Fickert Datum 13.12.2017

Erdschlussschutz

Ein Kernthema beim Testen der Funktionalität der Hardware-Komponenten ist die Überprüfung der Einhaltung der Funktionsparameter der einzelnen Schutzfunktionen (Schutzrelais), wie z. B. Ansprechwerte, Verzögerungen, Steuerung durch externe Binärsignale, Auslösekontakte. Die Hardware-Kontrolle externer Einrichtungen ist vollständig, wenn sie die korrekte Ansteuerung der Leistungsschalter(„Ausschaltprobe“, „AWE-Prüfung“), deren Rückmeldungen, die Erfassung der Strom- und Spannungssignale („Wandlerprüfung“) und die Meldungs-Übertragung und Visualisierung z. B. in Leitstellen („Meldungskontrolle“) umfasst.

Schwieriger ist die Überprüfung der vorgegebenen Einstellwerte entsprechend einer gewählten netzspezifischen Schutzphilosophie. In vielen Fällen können bewährte Regeln angewendet werden. Doch ihre Gültigkeit ist begrenzt. Nimmt man den Kurzschlussschutz inradial gespeisten Mittelspannungsnetzen ohne Zwischeneinspeisungen in Form eines Überstrom-Zeit-Staffelschutzes her, erkennt man die Zwiespältigkeit „bewährter Rezepte“: Denn ändert sich das Netzsystem, z. B. durch stromstarke Zwischeneinspeiser von Kurzschlussströmen, ist die netzspezifische Schutzphilosophie unbedingt mitanzupassen. Das kann so weit gehen, dass neben Hardware-Komponenten auch deren Einstellwerte und fallweise sogar die gesamte Schutzphilosophie verändert werden muss, um die Schutzziele befriedigend einzuhalten.

In die Wahl der Schutzphilosophie fließt ein dichtes Bündel von Maßgaben ein. Sie orientiert sich an den Anforderungen an Schutzumfang, Selektivität, Betriebserfordernissen – einschließlich Risiko- Analysen – und berücksichtigt die im Störfall auftretenden Fehlerbilder, die auftretenden Ströme und Spannungen sowie die historischen Gegebenheiten und finanziellen Restriktionen.

Vorausgeschickt sei, dass in diesem Artikel unter Erdschlussschutz diejenigen Schutzeinrichtungen und -systeme verstanden werden, die einen einpoligen Isolationsverlust eines strombegrenzend geerdeten Mittel- oder Hochspannungsnetzes – gelöscht, teilkompensiert, strombegrenzend geerdet – erfassen.

ÜBERPRÜFUNG DER EINZELNEN ERDSCHLUSSSCHUTZFUNKTIONEN – RELAISPRÜFUNG

Hierbei werden die Erdschlussschutz-Funktionen auf Geräte-Ebene durch Einspeisung von – in der Regel – Summenstrom oder Summenströmen und – je nach Schutzverfahren – einer Verlagerungsspannung geprüft. Funktionskontrollen im Sinne einer Grobprüfung beschränken sich auf das Ansprechen oder Nicht-Ansprechen und werden oft mittels Prüftastern durchgeführt.

Inbetriebnahme- oder Turnusprüfungen kontrollieren hingegen, ob die Ansprechwerte und – wiederum je nach Schutzverfahren – allfällige Verzögerungszeiten den vorgegebenen Einstellwerten entsprechen. Sie werden oft mittels mobiler Strom-/Spannungsquellen realisiert. Dabei ist von Fall zu Fall laut Angaben des Geräteherstellers vorzugehen.

Das zeigt sich am Beispiel der wattmetrischen Erfassung – wattmetrisches Relais in cos-phi-Schaltung: Für eine solche Prüfung werden bei der Funktionskontrolle eine Verlagerungsspannung und ein mit der Verlagerungsspannung annähernd gleichphasiger Summenstrom im Auslösesinn bzw. im Sperrsinn eingespeist und so wird die „JA/NEIN“-Entscheidung geprüft. Bei der Inbetriebnahme- oder Turnusprüfung werden diese Werte laut dem produktspezifischen Auslösediagramm in verschiedenen grenzwertigen Kombinationen mit feinen Variationen eingespeist und wird das Ansprechverhalten geprüft. Wesentlich ist, dabei netzrelevante und realistische Werte zu verwenden.

Der Vorteil dieser Prüfverfahren liegt in der verhältnismäßig einfachen Handhabung; als Nachteil, besonders bei der Ansprechwertprüfung, ist der Aufwand an geschultem Personal und komplexen Prüfgeräten anzuführen.

PRAKTISCHE NOTWENDIGKEIT DER SYSTEMBASIERTEN PRÜFUNG DER ERDSCHLUSSSCHUTZFUNKTION

Nach den jahrzehntelangen Erfahrungen des Verfassers liegt das Problem einer unbefriedigenden Funktion von Erdschlussschutz-Einrichtungen aber nicht im Bereich der Gerätetechnik, sondern in Schwächen im Systemkonzept des Erdschlussschutzes, also im Erdschluss-Engineering, einer systemischen Herangehensweise basierend auf der Methodik der symmetrischen Komponenten, speziell des Nullsystems.

An dieser Stelle ist mir wichtig, den Gegensatz vom „klassischen“ Kurzschlussschutz zum Erdschlussschutz und dessen Komplexität herauszustellen.

Funktionalität des klassischen Kurzschlussschutzes

  • Fehlerbilder: Phase-Phase-Fehler am gleichen Fehlerort
  • Fehlerstrom ist deutlich größer als der maximale Betriebsstrom
  • schutztechnisch relevante Fehlerschleife
  • Spannungsquelle (vorgelagertes Netz)
  • Einspeisetrafo
  • (kurzgeschlossene) Leiterschleife

Im Wesentlichen bestimmt beim Kurzschlussschutz das Netz zwischen der Schutzeinrichtung und dem Fehlerort („in Vorwärtsrichtung“) das Verhalten der Schutzeinrichtung! 

Funktionalität des Erdschlussschutzes

Anders ist es beim Erdschlussschutz (Abb. 1).

  • Fehlerbilder: Phase-Erde-Fehler (Isolationsverlust) am gleichen Fehlerort
  • Fehlerstrom ist nicht größer als der maximale Betriebsstrom
  • schutztechnisch relevante Elemente
    • Spannungsquelle (vorgelagertes Netz samt Oberschwingungen)
    • Einspeisetrafo
    • Sternpunktbildung (eigener Sternpunktbildner bzw. für die Ausbildung eines Nullsystems geeigneter Transformator)
    • Löschspule bzw. Strombegrenzungswiderstand/-drossel
    • Daten der fehlerbehafteten Leiterschleife, speziell im Nullsystem
    • Übergangswiderstand

Abb. 1 Für den Erdschlussschutz relevante Komponenten eines Netzes (Fehler auf Stichleitung

Die relevanten Elemente sind in Abb. 1, getrennt nach Mit-, Gegen- und Nullsystem, wiedergegeben. Gerade bei gelöschten Netzen sind die Querzweige, nämlich die Petersen-Spule(n) und die Kapazitäten des gesunden Restnetzes, die bestimmenden Elemente: Wenn das Netz gut kompensiert ist, stellt resultierende  Parallelschaltung eine äußerst „wirksame“ Strombremse dar.

Denn die Verlagerungsspannung wird durch

  • den Spannungsteiler
  • Übergangswiderstand
  • (hochohmige) Parallelschaltung bestimmt.

Komplexer sind die Verhältnisse beim Summenstrom: Hier ist in erster Linie die Parallelschaltung von

  • Löschspule
  • Verlustwiderständen im Nullsystem
  • Netzkapazitäten

maßgeblich. Anders als beim Kurzschlussschutz, bei welchem das Netz zwischen Schutzeinrichtung und Fehlerort das Verhalten der Schutzeinrichtung bestimmt („in Vorwärtsrichtung“), ist es hier: Beim Erdschlussschutz bestimmt im Wesentlichen das Netz im Rücken der Erdschluss-Schutzeinrichtung deren Verhalten!

In zweiter Linie beeinflusst ein allfälliger Übergangswiderstand im Sinne eines stromreduzierenden Vorwiderstandes den Summenstrom, wobei hier realistischerweise auf Erde liegende, gerissene Leiterseile zu erwähnen sind.

Eine weitere stromreduzierende Wirkung kommt der Schleifenimpedanz zwischen Einbauort der Erdschluss-Schutzeinrichtung und Fehlerort zu: Diese Impedanz wirkt sich erst bei stromstarken Erdschlüssen zufolge einer niederohmigen Sternpunktbehandlung aus.

Diese Abhängigkeit des Verhaltens der Erdschluss-Schutzeinrichtung von Systemparametern des im Rücken der Schutzeinrichtung liegenden Netzes wird wiederum, wie oben, am Beispiel (Abb. 2) der wattmetrischen Erfassung gezeigt (wattmetrisches Relais). 

Abb. 2 Detaillierteres Komponenten-Ersatzschaltbild für das wattmetrische Verfahren mit Wattreststrom-Erhöhung 

Der Reststrom enthält folgende Komponenten. 

  • Blindreststrom, 50 Hz
  • Wirkreststrom, 50 Hz, im Beispiel durch eine Wattreststrom-Erhöhung verstärkbar
  • Oberschwingungsstrom

In der nachfolgenden Abbildung ist der im Zuge eines Erdschlussversuchs aufgezeichnete Strom an der Fehlerstelle wiedergegeben (Abb. 3).

Abb. 3 Real gemessener Summenstrom (Erdschlussstrom)in einem 110-kV-Netz

In Abb. 3 ist der gesamte Erdschlussstrom dargestellt (rot) und die 50-Hz-Komponente als schwarze Linie herausgefiltert. Man erkennt, dass im realen Fehlergeschehen dieses Netzes die 5. und 7. Oberschwingung überwiegen und die 50-Hz-Komponente von der Schutzeinrichtung durch analytische Verfahren bestimmt werden muss.

Erst nach der Filterung wird die relative Phasenlage der 50-Hz-Komponente des Stroms zu der 50-Hz-Komponente der Verlagerungsspannung bestimmt: Wie man aus Abb. 2 ersieht, wird im Nullsystem die Wirkleistung von der Serienschaltung Mit- und Gegensystem über die Fehlerstelle in Rückwärtsrichtung über die Erdschluss-Schutzeinrichtung zu den Wirkleistungsverbrauchern im Rücken der Erdschluss-Schutzeinrichtung eingespeist. Physikalisch heißt das nichts anderes, als dass durch die (symmetrische) Quelle in den mit Erde leitend verbundenen Netzelementen, wie z. B. der Petersen-Spule, den  Wattreststromerhöhungs-Widerständen und beidseitig geerdeten stromführenden Kabelschirmen, Wärme erzeugt wird, also elektrische Wirkleistung umgesetzt wird.

Wenn die Verschiebung größer als 90° ist, d. h. Nullsystem-Wirkleistung in Richtung Sammelschiene transportiert wird, wird auf „Auslösung“ entschieden. Im Gegenzug bedeutet ein Winkel kleiner als 90°, dass der Erdschluss in Rückwärtsrichtung liegt (Abb. 4).

Abb. 4 Auslösebereich(-winkel) und Sperrbereich(-winkel) beim wattmetrischen Erdschlussortungsverfahren

Und genau dieser Richtungsentscheid 90° ± δ hängt von parasitären, in der Regel nicht durch die Schutzprojektierung festgelegten Parametern wie Eisen- und Kupferverlusten in der Petersen-Spule sowie den Schirmerwärmungen ab! 

Im Allgemeinen sind die Wattrestströme, verglichen mit den sonstigen Blindströmen, sehr klein, sodass der entscheidende Winkel δ sehr klein ist. Noch verschlimmert wird die Situation dadurch, dass wegen der zwischen Einbauort der Erdschluss-Schutzeinrichtung und Fehlerort zufließenden kapazitiven Ströme im Nullsystem im Summenstrom die induktive Komponente mit zunehmender Fehlerentfernung weiter zunimmt und der Winkel δ noch kleiner wird.

Ein Zahlenbeispiel veranschaulicht diesen Zusammenhang: Ein 20-kV-Netz mit beträchtlichem Anteil an Kabeln mit einem spezifischen Erdschlussstrom von ICE = 2,5 A/km habe einen kapazitiven Gesamt-Erdschlussstrom von ICE= 400 Amp. Die Überkompensation betrage v = 4 % = 0,04 [p.u.]. Der Fehlerort wird in IF = 12 km Entfernung angenommen. Die Petersen-Spule habe Wärmeverluste von PVerlust = 30 kW.

Damit ergibt sich für den (induktiven) 50-Hz-Blindstrom an der Fehlerstelle selbst ein Wert von IF = 400 A × 0,04 = 16 Ainduktiv.

Durch die Zwischeneinspeisung von 12 km × 2,5 A/km = 30 Akapazitiv beträgt der 50-Hz-Strom am Sammelschienenabgang allerdings schon IRelais,blind = 16 + 30 = 46 Ainduktiv.

Der Wattreststrom der Petersen-Spule ergibt sich als IWatt = PVerlust/UΦ2 = 30000/(20000/√3) = 2,6 A, und der Verschiebungswinkel δ = arctan (IWatt / IRelais,blind = arctan (2,6/46) = 3,2°. Für eine sichere Diskriminierung sollte der Ansprechwert um 50 % kleiner als das Nutzsignal sein, also 1,6° betragen. Im Zeitbereich entspricht das einer Genauigkeit von 89 μs, die durch Filterung aus einem wie in Abb. 3 dargestellten Signal realistisch innerhalb von 0,5 s gewonnen sein muss, ganz zu schweigen von den Wandlerungenauigkeiten.

Man erkennt an diesem Beispiel die Problematik der Erdschlussrichtung, welche nicht durch die Kleinheit des Wirkstroms, der immerhin 2,6 A ausmacht, sondern durch die systembedingte Herabsetzung des relevanten Winkels hervorgerufen wird. Noch kritischer wird die Situation, wenn durch fehlerinduzierte Abschaltungen bereits Kapazitäten aus dem Netz entfallen sind. Die Abhängigkeit der Erdschluss-Schutzeinrichtung von Systemgrößen liegt auch bei anderen Verfahren zur Ortung des Erdschlusses vor:

  • Bei den Wischerverfahren bestimmen die verschiedenen Kapazitäten der gesunden Leitungen die Anzahl der resultierenden Eigenfrequenzen des Netzes und determiniert der Eintrittsmoment die Amplitudensituation.
  • Beim Oberschwingungsverfahren wirkt sich die Mischung von Kabel- mit Freileitungsstrecken, speziell in ländlichen Mischnetzen, oft in kritischer Weise auf die Funktionalität der Erdschluss-Schutzeinrichtungen aus.
  • Bei Pulsortungsverfahren können Netzzubauten durch Kabel oder Abschaltungen von Kabelstrecken das Verhalten der Schutzeinrichtungen negativ beeinflussen.
  • Selbst bei stromstarken Ortungsmethoden, z. B. Distanzschutz bei niederohmigen Sternpunkten, kann die Netzkapazität die Richtungsentscheidung, je nach Art der Richtungsbestimmung, stören.

Um diese Unsicherheiten bei einem gegebenen Netz für ein gewähltes Erdschlussschutz-System auszuschließen, empfiehlt sich folgende Vorgangsweise:

Stufe 1: Schutztechnische Analyse des Netzes im Hinblick auf bekannte kritische Punkte mittels Erdschluss-Engineering.
Stufe 2: Systembasierte Prüfung mit Strömen und Spannungen durch Simulation kritischer Fälle mittels eines Systemsimulators.

Ein solcher Systemsimulator kann z. B. ein hardwaremäßig realisiertes Netzmodell sein. Solche Netzmodelle sind allerdings nur bis zu einer eingeschränkten Komplexität handhabbar.

Bei komplexeren Netzen und Fragestellungen gibt es in jüngerer Zeit auch entsprechende Relais-Simulations-Software, welche in Verbindung mit Digital-Analog-Wandlern den Schutzeinrichtungen ein realistisches Fehlerbild vorgibt. Diese hat den Vorteil, verschiedene Systemkonfigurationen effizient nachzubilden und die Netzparameter einfach zu variieren.

ERDSCHLUSSVERSUCHE ALS TEST FÜR DIE GANZHEITLICHKEIT DES ERDSCHLUSS-ENGINEERING

Die vorstehend beschriebenen Prüfverfahren – Einzelprüfung der Erdschluss-Schutzeinrichtung, systembasierte Prüfung im Labor oder am Testplatz – haben eine immanente Schwachstelle: Was nicht durch den Netzschutz-Ingenieur, die Netzschutz-Ingenieurin konzipiert wurde, wird übersehen und nicht überprüft.
Erdschlussversuche sind die einzige Abhilfe im Sinne von ganzheitlichen Typentests für das Erdschluss-Engineering. Denn dieses umfasst wesentlich mehr als die Festlegung der Schutzfunktions-Parameter, nämlich die

  • zu erwartenden typischen Fehlersituationen,
  • grenzwertigen Fehlersituationen,
  • Hilfe bei der Abgrenzung, welche Fehlersituationen als nicht mehr selektiv erfasst werden sollen,
  • Einbeziehung der Primärdaten-Ungenauigkeiten (Leitungsparameter, Wandler, …),
  • Einbeziehung der Funktionsgrenzen der Schutzgeräte,
  • Berücksichtigung der Handhabbarkeit durch das Netzführungspersonal. 

Durch den gesamtheitlichen Funktionsnachweis des Erdschlusserfassungs-Systems gestattet ein Erdschlussversuch die (stichprobenartige) Überprüfung großer Teile sowohl der Primärtechnik (Stromwandler etc.) als auch der Sekundärtechnik (Meldesysteme etc.) sowie des Menschen als Fehlerquelle.

Erdschlussversuche durchzuführen birgt das Risiko, dass es im Zuge des Versuchs zu einem Doppelerdschluss kommt. Die Gefahr besteht, doch es muss einem auch bewusst sein:

1. Statistische Wahrscheinlichkeit und Versuchsdauern von 200 ms: Die technische Argumentation beruht auf der Tatsache, dass früher die Messungen durch Ablesen von Messgeräten erfolgt sind und speziell die Sicherstellung einer gefahrlosen Strommessung (Kurzschließen der Amperemeter) sowie das Eintragen in Messlisten zeitaufwendig gewesen ist. Mit der heutigen Messtechnik sind Versuchsdauern von 200 ms ausreichend, um aussagefähige Ergebnisse zu erzielen. Durch diese kurze Zeit kommt es erfahrungsgemäß und auch auf Grund von Statistiken betreffend die Zeit zwischen dem Eintritt eines Erdschlusses und dem Übergang zu einem Doppelerdschluss zu keinem Doppelerdschluss mit all seinen unerwünschten Folgen. Diese Aussage wird durch Statistiken betreffend die Zeit zwischen dem Eintritt eines Erdschlusses und dem allfälligen Übergang in einen Doppelerdschluss unterstützt.

Kalkulierbares Risiko: Eine weitere Argumentation stellt auf die Pflicht des Netzbetreibers ab, das Netz (einschließlich der Schutzeinrichtungen) optimal funktionsfähig zu gestalten und zu erhalten. Gerade hier stellen erfahrungsgemäß Störungen aufgrund von Erdschlüssen einen beachtenswerten Punkt dar. Ein Erdschlussversuch unter den Bedingungen 

  • Bereitstellung von zusätzlichem Betriebspersonal,
  • Bekanntheit von Fehlerart und Fehlerort,
  • rasche Möglichkeit, qualifiziert einzugreifen,
  • Sicherung der Fehlerstelle

ist als Beispiel für positives Risikomanagement zu werten. Er ist ein kalkulierbares Risiko, bei dem der Erkenntnisgewinn in Relation zu unerwarteten und u. U. nicht plangemäß verlaufenden Erdschlussstörungen oft überwiegt.

Die Beachtung folgender Punkte wird dazu empfohlen:

  • Bestimmung einer typischen und kritischen Konfiguration, wobei die kritischen Konfigurationen je nach Verfahren unterschiedlich sind (s. vorstehender Abschnitt).
    • Die typische Konfiguration dient der Kalibrierung und Kontrolle der Grundeinstellungen.
    • Die kritische Konfiguration, z. B. bei Sonderschaltzuständen, prüft die Toleranz des Erdschlussschutzsystems bezüglich Parameterabweichungen.
  • Begrenzung der Erdschlussdauer auf typ. 200 ms.
    • Die kurze Zeit verhindert erfahrungsgemäß einen Doppelerdschluss.
    • Die Zeitspanne von 200 ms entspricht 10 Perioden Fehlergeschehen, was für weitere Auswertungen (Fourieranalyse, ...) ausreicht. Auch sind alle Einschwingvorgänge abgeklungen.
  • Verwendung von Schreibern mit durchgehender Aufzeichnung
    • Dadurch entfallen Triggerprobleme, und die menschliche Ablesezeit entfällt.
  • Verwendung von einigen Kanälen, falls realisierbar, bei Schreibern an der Fehlerstelle zur Dokumentation der Erdpotenziale an ausgewählten Stellen in der Umgebung (Potenzialtrichter).
    • In der jüngeren Vergangenheit treten Erdungsfragen, z. B. nach der Spannungsverschleppung bei Erdschlüssen in Ortsnetzstationen, in den Vordergrund. Erdschlussversuche sind hier unschätzbare Informationsquellen!

ZUSAMMENFASSUNG

Im Gegensatz zum Kurzschlussschutz bestimmt beim Erdschlussschutz im Wesentlichen das Netz im Rücken der Erdschluss-Schutzeinrichtung deren Verhalten. Das hat zur Folge, dass im Fehlerfall eine Vielzahl von Netzparametern schutztechnisch wirksam wird, welche im Erdschluss-Engineering bei der Konzeption des Erdschlussschutz-Systems zu berücksichtigt sind.

Der Nachweis der Funktionalität eines Erdschlussschutz-Systems besteht aus drei Stufen:

  • der Einzelprüfung der Erdschluss-Schutzeinrichtung.
  • der simulationstechnischen Überprüfung des Gesamtsystems mittels entsprechender Relais-Simulations-Software, welche in Verbindung mit Digital-Analog-Wandlern den Schutzeinrichtungen ein realistisches Fehlerbild vorgibt.
  • Erdschlussversuche an kritischen Stellen, welche durch die stichprobenartige Überprüfung großer Teile der Primär- und der Sekundärtechnik den Funktionsnachweis eines erfolgreichen Erdschluss-Engineerings erbringen. Hier ist neben einer durchgehenden Aufzeichnung die Kürze eines Fehlerzustandes entscheidend: Eine Versuchsdauer von 200 ms stellt erfahrungsgemäß sicher, dass es zu keinem gleichzeitigen weiteren Fehler (Doppelerdschluss) kommt.

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