OBERWELLEN­VERFAHREN 3. VS. 5. HARMONISCHE
Gesetzliche Rahmenbedingungen und aktuelle Anforderungen an den Netzbetrieb fordern zunehmend eine schnellere und zuverlässigere Lokalisierung von 1-poligen Fußpunkten in kompensiert und isoliert betriebenen Verteilernetzen. Die Lokalisierung sollte so schnell wie möglich durchgeführt werden und der Fehlerstrom an der Fehlerstelle sollte keine signifikante Höhe annehmen.
In der Vergangenheit wurde bei den Erdschlussortungsverfahren die 3. harmonische Schwingung grundsätzlich nicht für die Erdschlussrichtungserfassung herangezogen, da sie in der verketteten Spannung von Verteilernetzen im gesunden Netzzustand so gut wie nicht vorkommt. In den aktuell betriebenen vermaschten 110-kV-Netzen mit sehr großen Ausdehnungen funktionieren meist nur transiente Relais korrekt, die den Fehlereintritt erfassen. Der Nachteil dieser Verfahren ist, dass sie im Zuge von Eingrenzungsschaltungen keine weitere Anzeige mehr liefern.
Durch viele Messungen und deren Analysen konnte in der Vergangenheit aber der Effekt beobachtet werden, dass sich das Spektrum der Oberschwingungen in der Netzspannungim Erdschlussfall verändert und es zu einem charakteristischen Anstieg der 3. Harmonischen kommt. In diesem Beitrag werden die Vorteile bei der Verwendung der 3. Harmonischen im Vergleich zur bereits etablierten Ortung mit der 5. Harmonischen vorgestellt.
DER ERDSCHLUSS IM NETZBETRIEB
In Abb. 1 ist die Verteilung der Sternpunktbehandlung in Deutschland dargestellt, welche vergleichbar ist mit jener in Österreich und in der Schweiz. Der Vorteil der korrekten Erdschlussstromkompensation ist, dass der Kunde während eines 1-poligen Fehlers weiter versorgt wird und sich dadurch keine Beeinflussung auf Kennwerte wie SAIDI oder ASIDI ergibt. Fortführende Beschreibungen zu Vor- und Nachteilen der einzelnen Verfahren der Sternpunktbehandlung finden sich in [1, 2].
Abb. 1 Sternpunktbehandlung in Deutschland
In Abb. 2 ist schematisch ein 1-poliger Fehler im isolierten Netz im Abzweig „A“ dargestellt. Aus der Abbildung ist ersichtlich, dass mit Fehlereintritt zwei voneinander unabhängige Vorgänge beginnen, die aber zeitlich betrachtet eine unterschiedliche Dauer besitzen und gemeinsam in einem stationären Zustand enden. Dies sind:
- die sehr rasche Entladung des fehlerbehafteten Außenleiters innerhalb von Millisekunden,
- der im Vergleich dazu länger andauernde Vorgang des Aufladens der beiden gesunden Außenleiter.
Im stationären Zustand fließen alle kapazitiven Ströme (Leiter-Erde-Kapazität) aller gesunden Leitungsabzweige über den Transformatorsternpunkt zum fehlerhaften Außenleiter und schließen ihren Stromkreis über die Fehlerstelle. Im fehlerbehafteten Abzweig fließt der Strom demnach genau entgegengesetzt. Der Nullsystemstrom der gesunden Leitungsabzweige ist somit in Bezug auf die 50-Hz-Nullsystemspannung (Verlagerungsspannung) kapazitiv, der des fehlerbehafteten Abzweigs induktiv. Aus diesem Bezug lässt sich für Netze mit isoliertem Sternpunkt eine abzweigselektive Erdschlussortung ableiten.
Abb. 2 Beispiel eines 1-poligen Fehlers im isolierten Verteilnetz im Abzweig „A“
Für kompensierte Netze muss diese Betrachtung erweitert und überdacht werden. Dazu kann man sich für eine einfache Darstellung eine Petersen-Spule (regelbare Induktivität) am Transformatorsternpunkt vorstellen. Im 1-poligen Fehlerfall steigt die Spannung am Transformatorsternpunkt an und treibt über die Petersen-Spule einen Strom, welcher sich ebenfalls über die Fehlerstelle kurzschließt. Dieser induktive Strom überlagert an der Fehlerstelle den kapazitiven Strom der gesunden Leitungsabzweige. Als Summe wirkt an der Fehlerstelle nur mehr ein reduzierter Strom, welcher bei korrekt abgestimmter Resonanzregelung im Bereich von wenigen Ampere liegt.
Dieser an der Fehlerstelle reduzierte Fehlerstrom wird nicht nur auf 2–3 % des kapazitiven Anteils reduziert, sondern er verändert in Bezug auf die Nullsystemspannung auch seine Phasenlage. Aus der vorherigen Überlegung ist ersichtlich, dass es im kompensierten Netzbetrieb andere Anforderungen für die Erdschlussrichtungsbestimmung gibt. Die wattmetrische Methode [cos(φ)] ist sehr empfindlich gegenüber Winkelfehlern von Nullsystemstrom und Nullsystemspannung. Da der zu erfassende Nullsystemstrom in der Regel sehr klein ist, ist es messtechnisch schwierig, diesen betrags- und vor allem winkelgetreu zu bestimmen. Ebenso haben Betrags- und Winkelfehler von Strom- und Spannungswandlern einen erheblichen Einfluss auf das Messergebnis und somit auf die Richtungsbestimmung im Erdschlussfall. In vermaschten Verteilernetzen entsteht, u. a. durch Phasensplitting, ein zusätzlicher Kreisstrom, welcher wiederum als „wattmetrischer“ Anteil im Nullsystem zu einem Überansprechen von Ortungsrelais führen kann.
Im Vergleich dazu sind die Anforderungen im zuvor beschriebenen isolierten Verteilernetz wesentlich geringer. Hier kann bei Winkelfehlern von ±30° in der Grundschwingung von Nullsystemstrom und Nullsystemspannung noch zuverlässig die Richtungsbestimmung durchgeführt werden. Nachdem in der DACH-Region aber entsprechend Abb. 1 die Kompensation dominiert, sind hierfür aufgrund immer geringerer Wirkanteile im Nullsystemstrom andere Methoden als die wattmetrische in Erwägung zu ziehen. Eine dieser Methoden ist z. B. die Schaffung von annähernden Rahmenbedingungen für das Nullsystem im kompensierten Betrieb, wie es auch im isolierten vorherrscht. Diese Methode der Ortung mit einer vielfachen Harmonischen wird im fortführenden Verlauf beschrieben.
DIE ERDSCHLUSSORTUNG MIT DER 5. HARMONISCHEN
Im Verteilernetz bilden sich durch Nichtlinearitäten, welche einerseits durch Verbraucher, aber auch durch z. B. Ortsnetztransformatoren hervorgerufen werden, im Strom Oberwellen (ganzzahlige Vielfache der Grundschwingung) aus. Dieser oberwellenbehaftete Strom verursacht im Transformator, an der Transformatorimpedanz einen zusätzlichen Spannungsabfall und beeinflusst somit die vom Transformator abgegebene verkettete Spannung. An der Mittelspannungssammelschiene eines Umspannwerks kann daher die Summe aller Oberwellenbelastungen gemessen werden.
Damit für das kompensierte Netz bei der Erdschlussortung eine ähnliche Voraussetzung gilt wie für das isolierte Netz, muss der Sternpunkt „virtuell“ isoliert werden. Dies erreicht man, indem man nicht die Grundschwingung betrachtet, für die das gesamte System bemessen ist, sondern eine höhere Frequenz wie bis dato üblich, z. B. die 5. Harmonische. Für diese Frequenz von 250 Hz (in einem 50-Hz-Netz) erhöht sich die Impedanz der Löschspule um den Faktor 5 und wirkt somit wesentlich höherohmiger (näherungsweise isoliert). Ebenso wirkt sich die 5. Harmonische auf die Impedanz der Leiter-Erde-Kapazität mit dem Faktor 5 reduzierend aus. Messtechnisch wird daher vom gemessenen Nullsystemstrom und von der gemessenen Nullsystemspannung nur der 250-Hz-Anteil für die Richtungsbestimmung verwendet. Durch diese angenäherten Verhältnisse an ein isoliertes Netz kann auch die dafür geeignete Methode [sin(φ)], jedoch nur mit den Anteilen der 5. Harmonischen, angewendet werden, und die Anforderungen an Strom- und Spannungswandler sowie an die Signalverarbeitung sind dadurch wesentlich reduzierter.
In gemischten Netzstrukturen entstehen jedoch zunehmend Serienschwingkreise, welche für die Erdschlussortung eine neue Herausforderung darstellen. Bis dato wurde die Längsinduktivität von Leitungen vernachlässigt. Freileitungen besitzen im Vergleich zu Kabeln eine höhere Längsinduktivität (3:1) und eine kleinere Leiter-Erde-Kapazität (1:50). Durch den Netzausbau werden zunehmend Netzbereiche verkabelt. Wenn diese Netzbereiche Netzausläufer darstellen, dann wirkt die Freileitung als Induktivität und das umgebaute Netzgebiet als Kapazität eines Serienschwingkreises.
Abb. 3 Richtung der 5. Harmonischen bei homogenen Netzstrukturen
Bei homogenen Freileitungsnetzen (Abb. 3) liegt die Resonanzfrequenz wesentlich über 250 Hz und mit dem Oberwellenverfahren können gute Ortungsergebnisse erreicht werden. Bei inhomogenen Netzstrukturen, wenn Netzausläufer durch lange Kabelsysteme (Abb. 4) erweitert werden, wirkt diese Kabelkapazität für die 5. Harmonische wie ein Kurzschluss gegen Erdpotenzial. Dies bewirkt, dass das Ortungsgerät, wie in Abb. 5 dargestellt, im Abzweig „B“ mit der sin(φ)-Methode einen induktiven Strom registriert und diesen als den fehlerbehafteten Abzweig erkennt. Am tatsächlichen fehlerbehafteten Abzweig „C“ erfolgt ebenfalls eine Umkehr der Richtung.
Abb. 4 Richtung der 5. Harmonischen bei inhomogenen Netzstrukturen und Unterschreiten der Serienresonanz
In inhomogenen Netzstrukturen kann die Resonanzfrequenz des Serienschwingkreises die 5. harmonische Schwingung unterschreiten und es kommt zu Über- und Unterfunktionen bei der Erdschlussrichtungsbestimmung nach der sin(φ)-Methode.
Die Erdschlussortung mit der 5. Harmonischen kann im kompensierten Netzbetrieb angewendet werden, sie zeigt aber bei bestimmten Netzkonfigurationen Über- bzw. Unterfunktionen. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu verbessern, ist, mehr Abstand zur Grenzfrequenz bei Aufrechterhaltung der Rahmenbedingungen für das „virtuelle“ isolierte Netz zu gewinnen. Dies kann man z. B. durch die Verwendung der 3. Harmonischen für die Erdschlussortung erreichen.
Abb. 5 Vereinfachte Darstellung eines 1-poligen Fehlers im kompensierten Netzbetrieb in symmetrischen Komponenten
HARMONISCHE SCHWINGUNGEN VOR UND WÄHREND DES ERDSCHLUSSES
Ein Effekt, der in der Vergangenheit immer öfter beobachtet werden konnte, ist, dass sich die Anteile der harmonischen Schwingungen in den verketteten Spannungen vor und während eines 1-poligen Fehlers im kompensierten Netzbetrieb verändern. Im normalen Netzbetrieb sind das Mit-, das Gegen- und das Nullsystem mehr oder weniger entkoppelt. Im 1-poligen Fehlerfall erfolgt eine Kopplung der drei symmetrischen Komponenten an der Fehlerstelle (Abb. 5). In Abb. 6 sind die Anteile vor und in Abb. 7 die Anteile während eines Erdschlusses von einem Netzbereich dargestellt. Die Veränderungen durch den 1-poligen Netzfehler sind bemerkenswert auffällig und nicht zu vernachlässigen.
Abb. 6 Harmonische der Nullsystemspannung vor dem Erdschluss
Von der 3. Harmonischen wurde angenommen, dass sie im Netzbetrieb eigentlich gar nicht vorhanden ist, da sie von den Dy-Transformatoren und Transformatoren mit Delta-Ausgleichswicklung kurz geschlossen wird. Dieser Kurzschluss wird aber von der Impedanz der Verteilnetztransformatoren sowie von der Leitungsimpedanz begrenzt und die 3. Harmonische kann sich, wie in Abb. 7 ersichtlich ist, ausbilden. Ein weiterer Grund für das Auftretender 3. Harmonischen ist die Zunahme von 1-phasigen Lasten im Niederspannungsbereich, die durch die unsymmetrische Belastung von Dy-Transformatoren an der Oberspannungsseite ebenfalls Harmonische generieren können.
Abb. 7 Harmonische der Nullsystemspannung während des Erdschlusses
DIE ERDSCHLUSSORTUNG MIT DER 3. HARMONISCHEN
Der überwiegende Teil des 110-kV-Netzes im D-A-CH-Raum wird mit Freileitungen betrieben. Umfangreiche Feldtests haben gezeigt, dass eine 110-kV-Freileitung, die auf eine Wiese fällt, nicht als konstante lineare Impedanz angenommen werden darf. An dem am Boden liegenden Seil bilden sich viele Lichtbögen zum Erdreich hin aus. Diese schmelzen den Untergrund und dieser wiederum vergrößert seine Impedanz. Dadurch entstehen an neuen Stellen, die eine kleinere Seil-Erd-Impedanz aufweisen, neue Lichtbögen. Dies bewirkt ein permanentes Wandern der Lichtbögen entlang des am Boden liegenden Seils und somit eine Nichtlinearität des Fehlerwiderstandes über die Zeit betrachtet. Die Fehlerimpedanz ist auch von der Abstimmposition der Petersen-Spule abhängig.
Diese Fehler haben durch das Rückzünden im fehlerbehafteten Außenleiter einen Spannungsverlauf, der am ehesten durch ein Rechtecksignal beschrieben werden kann. Ein Rechtecksignal beinhaltet eine 3. Harmonische, wodurch auch auf eine 3. Harmonische im fehlerbehafteten Außenleiter rückgeschlossen werden kann. Daher kann festgehalten werden, dass eine auf eine Wiese gefallene Freileitung an der Fehlerstelle anteilig ihre eigene 3. harmonische Schwingung erzeugt, die für die selektive Erdschlussortung benötigt wird. Der wesentliche Vorteil der Erdschlussortung mit der 3. Harmonischen ist, dass sich diese gegenüber der 5. Harmonischen näher bei der Grundschwingung befindet und sich dadurch ein größerer Abstand zu möglichen Serienresonanzen ergibt. Dies ist aus heutiger Sicht unter Berücksichtigung der Netzausbauplanung für eine zuverlässige längerfristige stabile Erdschlussortung bei zunehmender Verkabelung notwendig. Zusätzlich nimmt die Wahrscheinlichkeit von falschen Richtungsentscheiden ab.
ZUSAMMENFASSUNG
In heutigen vermaschten Netzstrukturen kann mit der cos(φ)-Methode keine zufriedenstellende Ortung mehr erreicht werden. Dies ist mitunter auch auf die kleinen wattmetrischen Komponenten zurückzuführen. Transiente Erdschlussortungsrelais funktionieren hingegen zuverlässig.
Für die stationäre Auswertung wurde alternativ zur cos(φ)-Methode nur die 5. Harmonische verwendet. Die 3. Harmonische wurde nicht beachtet, da sie im Mitsystem aufgrund der Dy-Ortsnetztransformatoren nicht vorhanden ist. Es kann jedoch gezeigt werden, dass die 3. Harmonische im 1-poligen Fehlerfall vorhanden ist, insbesondere bei Erdberührungen mit Rückzündungen.
Die Methode der 3. Harmonischen kann zur Erdschlussrichtungsbestimmung in kompensierten Netzstrukturen als stationäre Methode verwendet werden. Der Vorteil gegenüber der 5. Harmonischen liegt in der Reduktion des Einflusses von Serienresonanzen und der damit besseren Handhabung von größeren Verteilnetzstrukturen.
In Österreich ist die Methode der 3. Harmonischen schon seit mehreren Jahren im Praxiseinsatz. In einem Vergleich von Erdfehlerrichtungsergebnissen von unterschiedlichen Ortungsmethoden haben die Algorithmen nach qu2, qui2 und 3. Harmonische die zuverlässigsten Ergebnisse geliefert.
Quellen
H. Melzer et al., Die aktuelle Situation der Sternpunktbehandlung in Netzen bis 110 kV (D-ACH), ETG-Fachbericht 132, VDE Verlag GmbH, Berlin, Offenbach 2012
P. Schegner; U. Schmidt; K. Frowein, Influences on the neutral point treatment caused by changing general requirements and new network concepts, ETG-Fachbericht 151, VDE Verlag GmbH, Berlin, Offenbach 2017
G. Druml, Innovative Methoden zur Erdschlussortung und Petersen-Spulen-Regelung, Thesis, Institute of Electrical Power System, Graz
U. Schmidt; K. Frowein; G. Druml et al., New Method for Calculation of the Harmonics in the Residual Earth Fault Current in Isolated and Compensated Networks, Proc. PQ2016 Conf., Tallinn 2016
K. Frowein; U. Schmidt; G. Druml et al., New model for the calculation of harmonics in the residual earthfault current of medium voltage systems, Proc. CIRED 2017 Conf., paper 1062, 2017
K. Frowein, Beschreibung von Oberschwingungsquellen für die Berechnung des Erdschluss-Reststromes bei Resonanz-Sternpunkterdung, Diplomathesis, TU Dresden, Dresden 2015