Strom­wandler - DIMENSIONIERUNG

Das Übertragungsverhalten von Stromwandlern für Schutzzwecke gliedert sich in einen stationären und einen transienten Teil. Dieser Artikel knüpft an den vorangehenden Beitrag „Anforderungen“ an und zeigt die Herleitung der für die Anwendung wichtigen Dimensionierungsgrößen und -formeln.

von Jörg Meyer Datum 05.09.2018

Allgemein

STATIONÄRES ÜBERTRAGUNGSVERHALTEN

Das Ziel ist die Berechnung des Betriebsüberstromfaktors ALF ’ (Accuracy Limit Faktor). Der Betriebsüberstromfaktor gibt an,

  • bei welchem Vielfachen des Bemessungsstromes,
  • bei von Bemessungsbürde abweichender Bebürdung (Betriebsbürde),
  • bei sinusförmigem Stromverlauf

der Stromwandler die Anforderungen an die Genauigkeit gerade noch einhält, also noch nicht zu sättigen beginnt.

HERLEITUNG:
Dimensionierungsgrundlage ist die max. Hauptfeldspannung UALF, bis zu welcher der Wandler betrieben werden kann, dass gerade noch keine Sättigung auftritt und damit die Anforderungen an die Genauigkeit noch eingehalten werden. Aus den Herstellerangaben kann UALF mit den Bemessungsgrößen (Index: r – linke Spalte) berechnet werden und damit schließlich auf die tatsächlichen Betriebsbedingungen (Index: b – rechte Spalte) umgerechnet werden.

Abb. 1 Ersatzschaltbild des Stromwandlers an der Genauigkeitsgrenze

Die maximale Hauptfeldspannung UALF ist konstruktiv vom Wandler vorgegeben und darf nicht überschritten werden. UALF gilt also für beide Betriebsfälle gleichermaßen: (die Gleichungen können damit

gleichgesetzt werden) - Gl.1:

Der Betriebsüberstromfaktor ALF ’ kann damit wie folgt berechnet werden –
Gl. 2:

Unter der Vernachlässigung der sekundären Streureaktanz Lôs und der Betragsbildung der Zähler- und Nennerimpedanzen folgt – Gl. 3:

Der sekundäre Innenwiderstand Rct des Wandlers hat einen Einfluss (siehe Gl. 3) auf den Betriebsüberstromfaktor. Er sollte bei der Berechnung des Betriebsüberstromfaktors berücksichtigt werden.

TRANSIENTES ÜBERTRAGUNGSVERHALTEN
Ziel: Berechnung des transienten Überdimensionierungsfaktors Ktd

Der transiente Überdimensionierungsfaktor gibt an, um das Wievielfache der Stromwandler im Vergleich zur stationären Dimensionierung überdimensioniert werden muss, damit er

  • bei von Bemessungsbürde abweichender Bebürdung, bei (voll)verlagertem Stromverlauf
  • für die Zeit tal (sättigungsfreie Übertragungszeit) sättigungsfrei überträgt.

TRANSIENTFAKTOR Ktf (t)
Die transiente Stromwandlerdimensionierung basiert auf der Berechnung der maximal möglichen Flussamplitude im Kernmaterial und berücksichtigt dabei die Verlagerung des zu übertragenden Stromes. Für die Berechnung des transienten Überdimensionierungsfaktors wird zunächst der sich ergebende Fluss bei verlagertem Primärstrom ins Verhältnis zur Flussamplitude bei sinusförmigem (unverlagertem) Primärstrom gesetzt – Gl. 4:

Für den stationären Fluss bei sinusförmigem (unverlagertem) Strom gilt – Gl. 5:

Ergibt sich – Gl. 6:

Abb. 2 Stromverlauf (verlagert) und ungesättigter Flussverlauf (bezogen auf Sättigungsfluss satt)

TRANSIENTER KERNFLUSSVERLAUF
Abb. 2 soll die Problematik des Flussverlaufs bei verlagertem Kurzschlussstrom verdeutlichen. Aufgrund des integralen Zusammenhangs zwischen Hauptfeldspannung und magnetischem Kernfluss steigt dieser stark an.

Zur Berechnung der maximal möglichen Flussamplitude muss zunächst der Flussverlauf berechnet werden. Der dafür notwendige Verlauf der Hauptfeldspannung ergibt sich aus der Maschengleichung der Sekundärseite – siehe Abb. 5 im Artikel „Anforderungen“Gl. 7:

Damit ergibt sich der transiente magnetische Flussverlauf im Kernmaterial über das Induktionsgesetz – siehe Gl. 8 im Artikel "Anforderungen" –Gl. 8:

Vereinfachend wird hierbei die sekundäre Induktivität Ls und der Remanenzfluss vernachlässigt. Es ergibt sich aus den Gleichungen (7) und (8) – Gl. 9:

Mit dem berechneten sekundären Stromverlauf aus Gl. 15 im Artikel „Anforderungen“ kann geschrieben werden – Gl. 10:

Die Lösung des Integrals ergibt für den Kernfluss des Wandlers schließlich folgenden Ausdruck - Gl. 11.

Mit folgender Näherung – Gl. 12:

Für f = 50 Hz und Ts ≥ 45 ms ist der Fehler der Näherung ≤ 0,5% und damit zulässig – Gl. 13:

Für den vollverlagerten Kurzschluss (θ= 0º) lässt sich diese Gleichung weiter vereinfachen zu Gl. 14:

Mit Gl. 4 und Gl. 6 ergibt sich der Verlauf des Transientfaktors Ktf (t) zu Gl. 15:

Für die Berechnung des späteren Überdimensionierungsfaktors wird eine sog. Peak-Kurve aus dem Verlauf des Transientfaktors berechnet. Dabei wird die Amplitude der überlagerten Sinus- und Kosinusanteile genähert – Gl. 16:

Beide Kurven sind in Abb. 3 dargestellt.

Abb. 3 Verlauf des Transientfaktors Ktf (t) und dessen Peak-Kurve Ktf peak (t)

SÄTTIGUNGSFREIE ÜBERTRAGUNGSZEIT
Wird während der Übertragung des verlagerten Stromes die maximale Sättigungsflussdichte des Wandlers erreicht, beginnt dieser zu sättigen. In Abb. 4 ist dies bei ca. 80 ms. Bis zu diesem Zeitpunkt tal (sättigungsfreie Übertragungszeit) überträgt der Wandler sättigungsfrei und hält damit die geforderte Genauigkeit ein.

Abb. 4 Stromverlauf (verlagert mit gesättigten Zeitabschnitten) und gesättigter Flussverlauf (bezogen auf Sättigungsfluss φert)

TRANSIENTER ÜBERDIMENSIONIERUNGSFAKTOR Ktd
Der transiente Überdimensionierungsfaktor ergibt sich, wenn in die Gleichung der Peak-Kurve des Transientfaktors Ktf peak (t) für t = tal gesetzt wird. – Gl. 17:

Mit Gl. 16 kann der transiente Überdimsenionalisierungsfaktor schließlich wie folgt berechnet werden - Gl. 18:

Dieser Überdimensionierungsfaktor muss nun bei der Dimensionierung der Stromwandler berücksichtigt werden. Die transiente Dimensionierung folgt hier nun wieder der gleichen Logik wie bei der stationären Dimensionierung.

GESAMTES ÜBERTRAGUNGSVERHALTEN
Die maximale Hauptfeldspannung UALF ist konstruktiv vom Wandler vorgegeben und darf nicht überschritten werden, da sonst Sättigung eintritt. UALF darf also auch unter Berücksichtigung der transienten Überdimensionierung nicht überschritten werden (Abb. 5) – Gl. 19:

Praktisch kann die Dimensionierung auf verschiedene Arten erfolgen:

1. Z. B. kann mit der bekannten Betriebsbürde und dem aus der Kurzschlussstromberechnung bekannten Überstromfaktor der vorhandene ktd des Wandlers berechnet werden. Mit diesem und der bekannten Netzzeitkonstante Tp kann die maximal mögliche sättigungsfreie Übertragungszeit tal berechnet werden, womit bspw. das Schutzsystem überprüft werden kann.
Oder:
2. Sollte eine Forderung für die sättigungsfreie Übertragungszeit tal vorhanden sein, kann die maximal zulässige Betriebsbürde berechnet werden. Mit dieser darf dann der Wandler maximal betrieben werden, um die sättigungsfreie Übertragungszeit einzuhalten.

Abb. 5 Ersatzschaltbild des Stromwandlers an der Genauigkeitsgrenze mit Betriebsgrößen für transiente Dimensionierung

BERÜCKSICHTIGUNG DER AUTOMATISCHEN WIEDEREINSCHALTUNG MIT SPANNUNGSLOSER PAUSE
Eine erhöhte Anforderung an das transiente Übertragungsverhalten von Stromwandlern ergibt sich bei der Verwendung von AWE. Die Entmagnetisierung des Kerns während der spannungslosen Pause ist abhängig von der Höhe der sekundären Zeitkonstante Ts und der Länge der Pausenzeit.

GROSSE SEKUNDÄRE ZEITKONSTANTE
Bei eisengeschlossenen Wandlern ohne Luftspalt, mit relativ großen sekundären Zeitkonstanten, erfolgt nahezu keine Entmagnetisierung während einer typischen Pausenzeit – Abb. 6.

Abb. 6 Strom- und Flussverlauf bei erfolgloser AWE (große sekundäre Zeitkonstante)

Der Fluss startet nach der AWE-Pause nahezu am gleichen Punkt, bei dem er bei der Abschaltung aufhörte. Der transiente Überdimensionierungsfaktor ergibt sich dabei nach folgender Gleichung – Gl. 20:

KLEINE SEKUNDÄRE ZEITKONSTANTE
Bei Eisenkernen mit Luftspalt (TPY, TPZ) erfolgt aufgrund der relativ kleinen sekundären Zeitkonstante eine signifikante Entmagnetisierung des Kernes innerhalb der AWEPausenzeit – Abb. 7.

Abb. 7 Strom- und Flussverlauf bei erfolgloser AWE (kleine sekundäre Zeitkonstante)

Dieses exponentielle Abklingen des Flusses kann in der Berechnung des transienten Überdimensionierungsfaktors berücksichtigt werden. Dieser ergibt sich dabei nach folgender Gleichung (keine Sättigung bis t” al) [1] - Gl. 21.

Quellen

1 DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik im DIN und VDE, 2014. IEC/ TR 61869-100, Instrument Transformers - Guide for Application of Current Transformers in Power System Protection; englische Fassung, Frankfurt am Main 2014
2 Autorenkollektiv, RITZ Instrument Transformers GmbH, Standort Ottendorf- Okrilla, Fachwörterbuch Messwandler, sechste Auflage, Dresden 2017
3 H. Clemens; K. Rothe, Schutztechnik in Elektroenergiesystemen, 3. Auflage, Berlin 1991

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