ZUKUNFT DER NETZ-SICHERHEIT

Das NETZSCHUTZ Magazin hat für Sie die 12. GMA/ETG-Fachtagung Netzregelung und Systemführung sowie den Austrian Standard IoT-FACHKONGRESS 2017: BIG DATA, CLOUD, DATENSCHUTZ & CO besucht. Bei beiden Veranstaltungen ging es trotz der unterschiedlichen Materien um Bewusstseinsbildung für den bereits stattfindenden Umbruch und sehr viel um die Frage „Zentral oder dezentral?“. Einzelne Vorträge werden in der Folge kurz beschrieben.

von Peter Schitz Datum 13.12.2017

Allgemein

12. GMA/ETG-Fachtagung Netzregelung und Systemführung

Mit seiner Einleitung, in der er die Zukunft der Netzregelung vom Prinzip der Watt’schen Dampfmaschine ableitete (Abb. 1), spannte der wissenschaftliche Tagungsleiter H. Weber/Universität Rostock einen richtungsweisenden Bogen für die 2-tägige Fachtagung in Berlin.

Tab. 1 Energiebedarf und Effizienzpotenzial nach Sektoren und Anwendungsarten mit Einsparpotenzialen

LANGFRISTIGE ENERGIESZENARIEN

Für Prof. Brauner/TU Wien stellt die Energiewende einen Evolutionsprozess dar, der nur bedingt prognostizierbar und planbar ist. Zukünftig sind durch Effizienzsteigerung und einen hohen regenerativen Elektrifizierungsgrad etwa 60 % des heutigen Primärenergiebedarfs einzusparen, um eine auf Potenzialen und Leistbarkeit basierende nachhaltige Energieversorgung zu ermöglichen (Tab. 1).

NEUE KOMPONENTEN DER NETZREGELUNG

Im Zuge der Energiewende hin zu hohen Anteilen erneuerbarer Energie wird erwartet, dass Speichersysteme eine entscheidende Rolle in verschiedenen Anwendungen spielen werden.

Batteriespeicher
Für die Frequency Containment Reserve (FCR), auch als Primärregelung bekannt, werden bereits heute elektrische Energiespeicher wie Batteriespeicher oder Schwungradspeicher eingesetzt. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber haben die bisherigen Präqualifikationskriterien um Vorgaben für den Einsatz von sogenannten „Technischen Einheiten mit Speicherbegrenzung“ für die FCR erweitert. Bei hohen Anteilen von elektrischen Speichern an der FCR-Vorhaltung könnten diese Vorgaben jedoch unerwünschte Effekte verursachen, die bei einem Rückgang der netzsynchronen rotierenden Massen und des  Netzselbstregeleffekts umso stärker zu Tage treten (H. Lens/IFK, Universität Stuttgart).

Thermische Speicher
Neben den Batteriespeichern wurden auch Varianten von thermischen Energiespeichern zur Netzregelung vorgestellt (D. Schlipf, G. Schneider/enolcon gmbh).

In der Kraftwerksplanung stellen Maßnahmen wie z. B. Wärmespeicher und strompreisgetriebener Aussetzbetrieb der Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerke (GuD) ebenso wie die Kombination bestehender Anlagen mit Elektroboilern, neben den erforderlichen  Anpassungen der Strommarktrandbedingungen, Regularien und Gesetzen, eine der größten Herausforderungen der Energiewende dar (U. Schulz/Vattenfall Wärme Hamburg GmbH).

Regelfähigkeit von Windparks
Über die Regelfähigkeit sowie Zu- und Abschaltbarkeit von On- und Offshore-Windparks und Innovationen in diesem Bereich berichteten T. Haase, DONG Energy Wind Power Germany GmbH (Offshore) und S. Wachtel, GE Renewable Energy (Onshore).

Abb. 1 Das neue „konventionelle“ oder Speicher-Kraftwerk

TECHNISCHE MÖGLICHKEITEN UND RÜCKWIRKUNGEN VON UMRICHTERANLAGEN

Umrichterregelung
Um Netzinstabilitäten zu vermeiden, müssen elektrische Erzeugungsanlagen ein Spannungsquellen-Verhalten aufweisen. In Folge muss – bei einem weiterhin steigenden Anteil umrichterbasierter Erzeugung und sinkender Einspeisung aus konventionellen Turbosätzen – das Verhalten von Umrichtern am Netz zwingend spannungseinprägend sein. Die bisherigen Standardanwendungen sind überwiegend stromeinprägend ausgeführt.

Im Paper von B. Engel, S. Laudahn, Fl. Rauscher/TU Braunschweig wurde die synthetische Schwungmasse als elektrische Funktionsweise der Momentanreserve von Synchronmaschinen und ihre Überführung in eine spannungseinprägende Wechselrichterregelung beschrieben. Zudem wurden verschiedene Verfahren zur Bereitstellung von Momentanreserve aus stromeinprägenden Wechselrichtern dargelegt und verglichen (Abb. 2 und 3).

Abb. 2 Klassische Regelleistungsprodukte mit Ergänzung der Momentanreserve

Abb. 3 Frühestmögliche Bereitstellung von Momentanreserve nach ihrer Technologie

Neuartiger Regelansatz

Die neuen, über Umrichter an das Drehstromnetz angeschlossenen Speicherkraftwerke müssen alle Aufgaben der konventionellen Kraftwerke übernehmen. Das kann mit konventioneller Frequenzregelung (netzstützende Maßnahmen) oder aber mit neuartiger Winkelregelung (netzbildende Maßnahmen) geschehen (H. Weber/ Universität Rostock).

Subsynchrone Resonanzen
Diese können zur ernsthaften Gefährdung des Wellenstrangs in Kraftwerksturbosätzen führen (S. Exnowski/Fachhochschule  Südwestfalen). Neuere, selbstgeführte HGÜ-Systeme können zur Dämpfung von Torsionsschwingungen beitragen. Bei unzureichender elektrischer Dämpfung im Frequenzbereich von Wellenstrangresonanzen müssen Abhilfemaßnahmen getroffen werden (A. Krontiris/ABB AG). Bei Spannungszwischenkreisumrichtern stellt eine mögliche Anregung von subsynchronen Torsionsschwingungen in sehr vielen Fällen kein Problem dar, da die Dämpfung der Eigenschwingung ausreichend ist. In Einzelfällen muss die Regelung des Spannungszwischenkreisumrichters angepasst werden. Die Überwachung von subsynchronen Torsionsschwingungen kann das Risiko von Wellenschäden weiter reduzieren (D. Audring, P. La Seta, K. Trunk/Siemens AG).

NETZPLANUNG UND BETRIEB – HEUTE UND MORGEN

Technische Anschlussregeln des VDE-FNN
Innerhalb der europäischen Netzkodizes (EU Netword Codes) formulieren die Connection Network Codes die Anforderungen für den Netzanschluss. Die größte Zahl von Interessengruppen ist vom NC RfG (Requirements for Generators) betroffen. Am Beispiel von Fault-Ride-Through wurden die inzwischen vielseitigen Anforderungen aufgezeigt, wenn mehrere Ereignisse gleichzeitig oder direkt aufeinanderfolgend eintreten. Um die Systeme nicht zu komplex und den Prüfaufwand nicht zu hoch werden zu lassen, ist die Entwicklung von Regelungsverfahren für wechselrichterbasierte Generatoren wünschenswert, bei denen mehr inhärentes Verhalten analog zu Synchrongeneratoren enthalten ist (H. Abele/TransnetBW GmbH, L. Hankel/FNN im VDE, J. Jahn/TenneT TSO GmbH, R. Pfeiffer/Amprion GmbH, J. Weidner/50Hertz Transmission GmbH).

Sicherstellung der Schutzfunktion in AC-Netzen
Für einen ordnungsgemäßen Betrieb und zur Sicherstellung einer zuverlässigen Schutzfunktion ist ein gewisses Maß an natürlichem Verhalten aller Betriebsmittel nicht nur für die Grundschwingung, sondern auch bei höheren Frequenzen erforderlich. Ähnlich wie sich bei unsymmetrischen Kurzschlüssen  Gegensystemströme ausbreiten können müssen, müssen auch Oberschwingungsströme fließen können, die sich aufgrund  nichtlinearer Kennlinien von Betriebsmitteln ergeben. Irgendwann wird diese, einem großen Netz eigene „Qualität“ aufgebraucht sein und wir werden uns Gedanken machen müssen, welche  Eigenschaften leistungselektronische Betriebsmittel in Bezug auf Grundschwingungen, Oberschwingungen und symmetrische Komponenten (hier insbesondere im Gegensystem) in Zukunft haben sollen (H. Kühn/TenneT TSO GmbH).

IoT-Fachkongress von Austrian Standards

Der Kongress spannte den Bogen von politisch-gesellschaftlichen Vorgaben über bestehende Gefahren von bekannten Zwischenfällen und anhand eines Live-Hacks bis hin zu Diskussionen um Ansätze im Standardisierungsprozess und rechtlichen Bereich. Hier möchten wir zwei Vorträge besonders hervorheben:

BLACKOUT

H. Saurugg, Sicherheitsspezialist, sieht die Voraussetzungen für ein Blackout von mehr als 12 Stunden als gegeben. Er befürchtet Systemversagen durch häufige Überlastungen der Versorgungsnetze. Durch die prinzipiell chaotische Vernetzung steigt die Komplexität und Verwundbarkeit von Systemen und unserer Gesellschaft. Das Problem-Bewusstsein ist v. a. unter Technikern gering. Und das, obwohl bereits im Grunddesign von IT-Lösungen entsprechend anzusetzen sei.

Die Phasen eines langen Großausfalls werden wie folgt definiert:

Phase 1 – totaler Stromausfall – worst case in Österreich bei 24 Stunden, mehrere Tage im europäischen Schnitt
Phase 2 – Wiederherstellung mit wochenlangen Versorgungsengpässen bei Nahrung und Wasser
Grundlegende Lösungsansätze zur Risikominimierung:

  • Generelle Energie- und Ressourcenbedarfssenkung
  • Systemdesign mit gesamtheitlicher Betrachtung
  • Einfache Systeme

Komplexe Systeme mit hierarchischer Top-Down-Struktur werden Probleme bereiten. Das systematische Risiko sei durch die Vernetzung überhaupt erst entstanden.

SICHERHEIT IM INDUSTRIAL INTERNET OF THINGS

In diesem Vortrag von Thomas Pfeiffer/Linz Strom Netz wurde auf die Qualitätsmanagement-Norm für Security IEC 27001 und der Annex A IEC 27002 verwiesen und wurden Schutzziele definiert:

  • Vertraulichkeit: Informationen dürfen nicht in falsche Hände geraten
  • Integrität: Verfälschung von Daten unmöglich
  • Verfügbarkeit

Beispielhaft wurden konkrete Empfehlungen genannt:

  • Trennung von IoT und Industrial-IoT
  • Segmentierung/Zoning/Conduits sind Sicherheitsmaßnahmen, wie z. B. im industriellen Bereich IT-Netzwerk -, SPS- und Sensor-Ebene.
  • Wenn in einem Bereich keine Standards verfügbar sind, dann gilt es, erprobte Lösungen einzusetzen. V. a. Sachverständige orientieren sich im Schadensfall daran.

ZUSAMMENFASSUNG

Die Inhalte der ETG-Tagung zeigten einmal mehr deutlich: Die Energiewende bis 2050 ist eingetaktet. Es geht in der nächsten Zeit darum, die diversen Konzepte zur Lösung der Herausforderungen insbesondere von Höchstspannungs- und HGÜ-Trassen sowie von thermischen und elektrischen Speicherlösungen im Großformat bis hin zu kleinen, dezentralen Varianten zu testen. Überregionale Netzentwicklungspläne der ENTSO-E sind dabei zu berücksichtigen.
Die Energiewende ist nur mit Hilfe der Informationstechnologie und dem Internet of Things realisierbar. Der IoT-Fachkongress von Austrian Standard zeigte die bereits aktuellen Risiken durch Überlastungen bestehender Infrastruktur und die logische Folge von Blackouts sowie die Notwendigkeit der Standardisierung für Sicherheit und Interoperabilität von IT-Systemen. An erster Stelle steht derzeit noch immer die Bewusstseinsbildung unter Technikern, da den Bedrohungen nur mit einem entsprechenden Sicherheits-Grunddesign begegnet werden kann.

Quellen

Alle Inhalte und Abbildungen: TG-Fb. 153: Energiewende in der Stromversorgung – Systemstabilität und Systemsicherheit ISBN: 978-3-8007-4481-7 

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