STE 2017 in Aschaffenburg

Die richtige Wahl der Sternpunkterdung ist für jeden Mittel- und Hochspannungstechniker ein aktuelles Thema. Die Sternpunkterdung-Tagung STE 2017 in Aschaffenburg widmete sich diesem Thema ausführlich.

von (red) Datum 02.06.2017

Allgemein

Der zunehmende Anteil der Verkabelung in resonanz-sternpunktgeerdeten Hoch- und Mittelspannungsnetzen v. a. im städtischen Bereich führt zu hohen Erdschlussrestströmen an der Fehlerstelle und zulässige Grenzwerte wer­den leicht erreicht oder sogar überschritten. In den Verteilernetzen wächst zusätzlich sowohl der Grundschwingungsanteil als auch der An­teil an Harmonischen im Erdschluss-Reststrom IRES durch die häufigere Anwendung von Leistungselektronik. 

Notwendige Erweiterungen und Ausbauten dieser bestehenden Systeme sind auf Basis der geltenden Normen und Vorschriften schwer bis gar nicht mehr möglich. Die Sternpunkterdung-Tagung STE 2017 hat sich von 21. bis 22. 2. 2017 in Aschaffenburg dieser Thematik angenommen und konnte in vielen Fachvorträgen ein genaues Bild über die Ursachen, die Auswirkungen und mögliche Lösungsansätze zeigen. NETZSCHUTZ fasst die Inhalte der Vorträge in den folgenden Absätzen für Sie zusammen. 

IST-SITUATION DER STERNPUNKT­ERDUNG IM D-A-CH-RAUM 

Der Großteil der Versorgungsnetze im 10- bis 110-kV-Bereich in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind mit Resonanz-Sternpunkterdung (RESPE) ausgeführt. In einigen Fällen kommt zusätzlich eine kurzzeitig-niederohmi­ge Sternpunkterdung (KNOSPE) zum Einsatz. 

Die in DIN VDE 0845-6-2 [2] angegebene Kurve für die Obergrenzen für den Erdschluss-Rest­strom IRES hat sich als Grundlage für die Planung durchgesetzt. Die darin angegebenen Werte basieren auf Untersuchungen und Erfahrungen zur Lichtbogenlöschung von Erdschluss-Lichtbögen, die in ihren Ergebnissen große Unsicherheiten aufweisen und demzufolge bezüglich der Lichtbogenlöschung kaum physikalische Relevanz besitzen. In resonanz-sternpunktgeerdeten Netzen mit Kabelanteil, die den Großteil der Mittelspannungsnetze darstellen, ist von nicht verlöschendem Erdschluss auszugehen. Hier dürfen die Erdschluss- Restströme IRES größer als die Grenz­werte in Abb.2 wirksam werden.

Abb. 1 Art der Sternpunktbehandlung in Abhängigkeit der Spannungsebene (D-A-CH) bezogen auf die Anzahl der Netze [1] 

Abb. 2 Obergrenze des Erdschluss-Reststroms IRES nach DIN VDE 0845-6-2 [2] 

Dazu sind die normativen Vorgaben der Personensicherheit nach DIN EN 50522 (Abb.3) v. a. hinsichtlich Berührungs- und Schrittspannungen und die Forderungen der DIN VDE 0845-6-2 [2] zu erfüllen.

Abb. 3 Verlauf der zulässigen Berührungsspan­nung UTP in Abhängigkeit der Stromflussdauer tF nach EN 50522 [3] 

Diese Vorgangsweise wird durch Versuche der TU Graz untermauert, bei denen sich zeigte, dass der zum Umspannwerk zurückführende Kabelschirm des fehlerbehafteten Kabels 70 – 80 % des einpoligen Fehlerstroms führte. Weitere 10 – 15 % des Fehlerstroms flossen über den Schirm bzw. die Schirme weiterer von der fehlerbehafteten Station wegführen- den Mittelspannungskabel ab (Ausschnitt aus Vortrag Dr. Fickert/TU Graz). Diese Bündelung der Ströme in den Schirmen führt zu einem geringen, ins Erdreich fließenden Reststrom IE und schlussendlich zu ebenfalls geringen Berührungs- und Schrittspannungen.

STATISTISCHE FAKTEN

Eine statistische Auswertung der FNN-Projektgruppe „Störungsstatistik“ untermauert die bekannten Vorteile der resonanz-sternpunktgeerdeten Hoch- und Mittelspannungsnetze wie

  • Erhalt der Spannungsversorgung im Erdschlussfall
  • hoher Anteil von selbsterlöschenden Erdschlüssen im resonanz-sternpunktgeerdeten MS-Netz

und stellt dem die Nachteile gegenüber:

  • schwierige Erdschlussortung durch Schutzeinrichtungen
  • erhöhte Wahrscheinlichkeit des Doppelerdschlusses v. a. in älteren Kabelnetzen.

Die statistische Erfassung des Verkabelungsgrads in den vergangenen 10 Jahren zeigt eine Erhöhung des Verkabelungsgrads in resonanz-sternpunktgeerdeten Netzen um 10 %.

Die folgenden Zitate der Zusammenfassung des FNN-Berichts machen klar, dass es kein Standardrezept für Erdschlussbehandlung gibt:

  • Es gibt nicht „die bessere“ Sternpunktbehandlung.
  • Die Versorgungszuverlässigkeit unterliegt komplexen Einflüssen, von denen die Art der Sternpunktbehandlung nur ein – wenn auch bedeutender – Faktor ist.

Die nachfolgenden Beispiele untermauern diese Aussage. Aus Abb. 4 ließe sich ein Vorteil von kompensierten Mittelspannungsnetzen ableiten. 

Abb. 4 Häufigkeit von Störungen mit bzw. ohne Störung mit Versorgungsunterbrechung Versorgungsunterbrechung bei Erdfehlern (Werte (Werte aus 2015; inkl. Netze ohne vollständige aus 2015)

Abb.5 hebt diesen Eindruck durch das bessere Abschneiden in der unterbrochenen MVAmin-Ausfallsstatistik von niederohmig geerdeten Mittelspannungsnetzen wieder auf. Einmal mehr wird damit deutlich, dass eine Aussage nur nach einer allumfassenden Betrachtung getroffen werden kann.

Abb. 5 Auswirkung einer durchschnittlichen Störung mit Versorgungsunterbrechung (Werte aus 2015; inkl. Netze ohne vollständige Erdschlusswischererfassung)

Einige Energieversorger begegnen diesen Entwicklungen – z. B. höherer Verkabelungsgrad oder sehr alte Kabelstruktur – mit Umstellung auf niederohmige Sternpunkterdung. Beispiele zweier deutscher Energieversorger haben Herangehensweisen verdeutlicht:

  • Grenzen der Erdschlusslöschung: Strategiefestlegung am Fallbeispiel einer 110-kV-Netzgruppe der Netze BW GmbH
  • Umstellung eines Netzes auf NOSPE – Betriebserfahrungen am Beispiel des 20-kV-Netzes der Stadtwerke Karlsruhe Netzservice

ERMITTLUNG DES ERDSCHLUSSSTROMS

Um das Ausmaß der Erdschlussströme in der Konzeptionsphase besser bewerten zu können, wurden einige Methoden der Erdschlussstrom-Ermittlung präsentiert. Dabei ist auch auf Einflüsse der Hochspannungsebene auf die Mittelspannungsebene zu achten. Die Methoden reichen von

  • Vierpol-Berechnungsmodellen für genaue Ergebnisse über
  • vereinfachte Berechnungsmodelle zur Erdschluss-Reststrom-Abschätzung (Abb. 6) bis hin zu
  • Langzeit-Erdschlussstrommessungen mit Hilfe des Frequenzselektiven Erdschlusses. Abb. 7

Abb. 6 Gemessene und berechnete Oberschwingungsanteile des Erdschlussreststroms, UW-ferner Fehler, Beispielnetz

Abb. 7 Eingesetzte Variante des Reaktanznetz- werks für den Frequenzselektiven Erdschluss (grau umrandet)

Besonders Messungen der Erdschluss-Restströme im 110-kV-Bereich sind eher selten. Zwei Beiträge berichteten von Erdschlussversuchen auf der 110-kV-Ebene.

  • Einflussfaktoren auf den Erdschluss-Rest- strom im 110-kV-Netz, Hochschule Zittau/ Görlitz und Technische Universität Dresden, Deutschland, Sprecher Automation, Österreich. Die Messungen (Abb. 8) wurden um Simulationsberechnungen ergänzt, die zum Beispiel die Veränderung des Ober- schwingungsanteils an verschiedenen Fehlerorten verdeutlicht. Abb. 9
  • 110-kV-Erdschlussversuch und Test eines Erdschlussdistanzschutzes, neue Algorith- men für Erdschlussdistanzschutz, Austrian Power Grid u. a.

Abb. 8 Gemessener Erdschluss-Reststrom IRES eines 110-kV-Netzes bei einem Verstimmungsgrad von 0%

Abb. 9 Anteile der Oberschwingungen am Erdschluss-Reststrom IRES in Abhängigkeit des Fehlerortes der beidseitig gespeisten Leitung

PRIMÄRTECHNISCHE EINRICHTUNGEN

Das Spektrum an Sonderfällen in reso- nanz-sternpunktgeerdeten Netzen zeigte sich am Beispiel der Vortrags „Resonanzregelung in MS-Netzen mit starker Symmetrie – Bewertung von Lösungsvarianten, Netze BW GmbH, Stuttgart, Deutschland; Energie Steiermark Technik GmbH, Graz, Österreich“, in dem Verstimmungskondensatoren, 50-Hz-Injektion und Stromeinspeisung mit Leistungselektronik verglichen wurden.

Die Möglichkeiten der aktiven Minimierung der Erdschlussrestströme in MS-Netzen wurde an zwei Anwendungsbeispielen aufgezeigt.

SCHUTZTECHNISCHE ENTWICKLUNGEN

Um die Erdschlussortung zu verbessern, gibt es Forschungen zur Nutzung der im Erdschluss- fall entstehenden Wanderwellen (Sprecher Automation, Energie Steiermark/Österreich, HS Zittau/Görlitz/Deutschland, TU Dresden/ Deutschland).

Mit Wanderwellen-Methoden wird auch zur Erfassung von Schaltzuständen geforscht (TU Dortmund/Deutschland; Energie Steiermark, Sprecher Automation/Österreich).

Prüftechnisch herausfordernd zeigt sich die bereits vorhandene Erdschlussortung mit der qu2-Methode. Diese komplexen Wischeral- gorithmen sind mit konventionellen, statischen Testmethoden nicht prüfbar. Lösungsansätze sind die direkte Testsignalausgabe durch

  • den Einsatz von Erdschlusssimulations-Programmen mit Sekundärprüfgerät-Anbindung oder
  • das Abspielen von COMTRADE-Aufzeichnungen am Sekundärprüfgerät

JUBILÄUM DER PETERSON-SPULE

Passend zum 100. Jahrestag der Patentanmeldung der Petersonspule wurde von Walter Schossig in einem Vortrag deren Entwicklung beschrieben.

Tagungsdokumentation

Die Original-Unterlagen, aus denen die Abbildungen stammen, sind als CD-ROM erhältlich:
ETG-Fachbericht 151 ∙ STE 2017 ∙ 21. – 22.02.2017 in Aschaffenburg,
ISBN: 978-3-8007-3638-6

Quellennachweis

1 ETG-FB 132, VDE-Verlag, 2012

2 DIN VDE 0845-6-2:2014 Maßnahmen bei Beeinflussung von Fernmeldeanlagen durch Starkstromanlagen, Teil 2: Beeinflussung durch Drehstromanlagen

3 EN 50522:2011 Erdung von Starkstromanlagen mit Nennwechselspannungen über 1 kV

Alle anderen Informationen, Grafiken und Abbildungen stammen aus:
ETG-Fachbericht 151 ∙ STE 2017 ∙ 21.-22.02.2017 in Aschaffenburg,
ISBN: 978- 3-8007-3638-6

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