Omicron Anwendertagung 2019

Drei Tage Vorträge, Diskussionen und das Erleben der Schutztechnik-Gemeinschaft mit KollegInnen aus Deutschland, Österreich und Schweiz. Das bot die Omicron Anwendertagung 2019 vom 4. bis 6.Juni im wunderschönen, historischen Kongresspalais in Kassel.

von Peter Schitz Datum 10.06.2019

Allgemein

Die Branche blickte auf die Aufgabe Systeme aus den letzten 50 Jahre zuverlässig in Betrieb zu halten und damit erheblich zur Versorgungssicherheit in unserem hochproduktiven und digitalen Zeitalter beizutragen. Und dabei die richtigen Wege für die Bewältigung der Herausforderungen und Technologiesprünge der Zukunft einzuschlagen. All das bedeutet einen weiten Spagat zwischen alter und neuer Technologie, auch bei den Geräte- und Systemprüfungen.

NETZSCHUTZ war für Sie dabei und hat die Herausforderungen und Trends für Sie zusammengefasst:

NETZE

Vision

In seinem visionären Vortrag gewährte H. Kühn von Kühn – Netz und Systemschutz einen „Blick in die Zukunft – vom Betriebsmittelschutz zum Systemschutz?". 

Der derzeitige Betriebsmittelschutz ist inhärent und muss einen (n-1)-sicheren Betrieb gewährleisten. Dies wird entweder durch

  • ortsferne Redundanz oder
  • örtlichen Reserveschutz  in der Mittel- und Hochspannung und
  • Schutzdopplung in der Höchstspannung realisiert. 

Um auch in einer Zukunft mit höher ausgelasteten Netzen  mit einem hohen Anteil an erneuerbarer und somit großteils leistungselektronisch angebundener Energieerzeugung einen (n-1)-sicheren Betrieb garantieren zu können, werden kurative Systeme notwendig sein. Bisher werden solche Aufgaben von automatischen Netzführungssystemen umgesetzt. In einzelnen Fällen werden durch Netzstörungen  erforderliche Schnellabschaltungen von z. B. Kraftwerksblöcken von statischen Spezialschutzeinrichtungen eingeleitet. Der Nachteil liegt in den fest eingestellten, statischen Schwellwerten.

Im hier präsentierte Ansatz wird dies mit kurativen Schutzsystemen realisiert, die eine wesentliche höhere Zuverlässigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit versprechen. Ein Beispiel: Bei einem Fehler auf einer Übertragungsleitung erfolgt zuerst die Auslösung. Danach übernimmt der Schutz zusätzlich auch noch die notwendigen kurativen Maßnahmen wie:

  • Leistungsreduktionsvorgaben an Erzeuger
  • Schalten von Serienreaktanzen oder Kondensatoren zur Leistungsverlagerung auf andere Leitungen
  • Topologieänderungen

Der Vorteil dieser neuen, vom Vortragenden als „Wide Area Protection System“ bezeichneten Idee liegt in folgenden Kriterien:  

1. sehr geringe Reaktionsgeschwindigkeit
2. hohe Zuverlässigkeit und Redundanz

Hochspannungs-Mischstrom-Übertragung

Mit seiner von den Auswirkungen bahnbrechenden und zugleich unkonventionellen Idee der „Hochspannungs-Mischstrom-Übertragung (HMÜ) – Eine Ergänzung zu bestehenden Übertragungstechnologien?“ zeigte S. Meier von der Hochschule Offenburg Möglichkeiten, bestehende Übertragungsleitungen im Bereich von 20 bis zu 50 % höher auszulasten. Ermöglichen soll dies die Aufschaltung einer Gleichspannung über beispielsweise den Sternpunkt von in Zick-Zack-geschalteten 3-Phasen-Drosseln - siehe c) in Abb. 1.

Abb. 1 Skizze eines Mischstrommodells mit Scott-Transformatoren (a) und einphasigen Gleich- und Wechselrichtern (b) [1]

Die bereits im Labor erfolgreich getestete Innovation lässt allerdings noch einige Fragen offen. Beispiele dafür sind:

  • Es ist zu prüfen, ob die Freileitungsisolatoren die höhere Phasen-Erd-Spannung führen können.
  • Mögliche DC-Kriechströme bei Transformatoren.
  • Aus schutztechnischer Sicht: Da die Transformatorsternpunkte für den Einsatz der Zick-Zack-Drosseln isoliert bleiben müssen, stellt sich die Frage nach der richtigen Erdfehlerdetektion.

Netzwiederaufbau 

Ein weiterer netztechnischer Beitrag behandelte die „Verifikation eines Netzwiederaufbaus (NWA)“ von D. Henschel von der Technischen Universität Kaiserslautern.

Dabei wurde ein Projekt eines deutschen Übertragungsnetzbetreibers vorgestellt, bei dem zwei verschiedene NWA-Szenarien durch reale Versuche getestet wurden:


1. Szenario in einem 20 km großen Netz
2. Szenario in einem 200 x 380 km großen Netz

Den Versuchen gingen aufwendige Simulationen voraus. Die Ziele des Projektes waren 

  • Wiederherstellung des Eigenbedarfs der schwarzstartfähigen Kraftwerke.
  • Zusammenwirken von allen Beteiligten unter den Bedingungen des NWA untersuchen. 
  • Synchronisation mit anderen Hochfahrnetzen und dem Verbundnetz.
  • Wirkungsweise und Zuverlässigkeit eines eigens für den NWA entwickelten Netzfrequenregler (NWA-Regler) überprüfen.

Prinzipiell wurden die Szenariennetze als zwei Teilnetze mit einer Frequenzfahrt hochgefahren, anschließend synchronisiert und parallelgeschaltet. Am Ende fand immer die Parallelschaltung mit dem UCTE-Verbundnetz statt. In Summe wurden 122 Messgrößen über mehr als 17 Stunden mit Abtastfrequenzen von großteils 0,1 kHz und vereinzelt 10 bzw. 40 kHz mit DANEO 400 Messgeräten der Firma Omicron aufgenommen.
Die Aufbereitung und Auswertung der ca. 440 GB Messdaten in Matlab war entsprechend zeitintensiv. U. a. zeigte sich dabei, dass der eingesetzte NWA-Regler den Wiederaufbau wesentlich unterstützt hat. 

Beide Versuche konnten erfolgreich abgeschlossen werden und die Eignung des NWA-Konzepts bestätigt werden. Die Hochfahrnetze erwiesen sich als praktikabel und robust. Weitere Versuche mit optimierten NWA-Konzepten und Simulationsmodellen sollen folgen. 

Netzfrequenz und Energiehandel 

Im Beitrag „Unsere Netzfrequenz: Die Brücke zwischen Versorgungsnetz und Energiehandel“ von J. Müller von WSW Energie & Wasser AG wurden anschaulich die Einsatzbereiche der Regelungsbereiche in Verbindung mit dem Stromhandel erklärt.

Abb. 2 Wirkungsweise der Primär-/Sekundär-/Tertiärregelung [2] 

KRAFTWERKE

Schutz bei doppelt gespeister Asynchronmaschine

M. Pairits von ANDRITZ HYDRO GmbH hob in seinem Vortrag „Die doppelt gespeiste Asynchronmaschine im Pumpspeicherkraftwerk: Anforderungen an die Schutztechnik“ den Megatrend hervor, dass bis 2050 10 Milliarden Menschen auf der Erde und 50 % davon in Städten leben werden. Dabei wird der Energieverbrauch entsprechend weiter steigen. Das Wasserkraftpotenzial ist nach wie vor groß, v. a. Speicherkraftwerke sind nach wie vor als Energiespeicher im Trend.
Dabei kommen bis ca. 150 MW Vollumrichter, darüber doppelt gespeiste Asynchronmaschinen (DASM) zum Einsatz – Aufbau siehe Abb. 3.

Abb. 3 Anlagenkonfiguration einer doppelt gespeisten Asynchronmaschine [3] 

Eine der Herausforderungen für ein Schutzsystem von DASM ist dabei die korrekte Wandlerwahl im Generatorbereich für die in manchen Betriebspunkten niedrige Frequenz. Die erforderliche Überprüfung erfolgt durch Simulationen durch den Wandlerhersteller. Mit den Sekundärwerten aus dieser Simulation wird die korrekte Schutzgerätefunktion mit Hilfe von Omicron AdvancedTransplay überprüft.

Abb. 4 Beispiel eines Spannungsverlaufs im Rotor eine Level-3-Umrichters [3] 

Eine weitere Herausforderung ist der Rotorerdschlussschutz, da der Spannnungsverlauf durch die Breitbandmodulation des Umrichters einen sehr verzerrten Verlauf hat – siehe Abb. 4.  

Abb. 5 Messschaltung für den Rotorerdschlussschutz [3] 

Die Andritz HIPASE-Plattform bietet eine entsprechende Baugruppe, die den Signalgenerator für die Projektionsspannung und Auswerteschaltung beinhaltet – siehe Abb. 5. 

Synchronität

Der sehr praktisch orientierte Beitrag „Synchrocheck und Synchronisierung“ von T. Frey von Bouygues E&S EnerTrans AG bot einen selten konkreten Einblick in die Herausforderungen dieses Themas.
U. a. die Erkenntnisse einer Fichtner-Studie nach einer Großstörung im Jahr 2003 in Italien mit 56 Mio. Betroffenen, die durch eine aufgrund zu hoher Asynchronität nicht zuschaltbaren 380-kV-Leitung entstand. 

Es gab  auch wieder, bei Thomas Frey inzwischen gewohnt, einige praktische Tipps:

  • das Durchschalten der Netz-oder Generatorspannung bei der Back-Feed- bzw. Forward-Feed-Prüfung zur Kontrolle von Spannungswandlersekundärverdahtungen – siehe Abb. 6 - und 
  • den Hinweis auf den Einstellwert SyAsy in Digsi 5. Dabei handelt es sich um die definierbare Zeit, mit der vor Erreichen des idealen Zeitpunktes der LS eingeschaltet wird und somit die Verzögerung durch die Einschaltzeit kompensiert wird.

Abb. 6 Abfolge von Backfeed-Prüfungen [4] 

SCHUTZPRÜFUNGEN

Zeitgemäße Prüfung

Zu diesem Thema gab es häufig die Frage bzw. Diskussion: „Sind Schutzprüfungen noch zeitgemäß?“ So lautete auch der Titel des Vortrags von S. Schöner, Omicron electronics, und J. Bünger, FGH GmbH.

Abb. 7 Lebenszyklus eines Betriebsmittels [5] 

Darin wurden einige Hinweise wie die bereits in der Ausschreibung erforderliche, genaue Beschreibung bzw. Spezifikation  des Testumfangs (Anm.: die Europanorm EN 61936-1 fordert eine Abklärung zwischen AN und AG) aufgezählt.
Auch die Anforderungen an Wiederholungsprüfungen wurden unter Einbeziehung von Einflussfaktoren im operativen Bereich wie Alterung, Firmware Updates, Outsourcing der Prüfdienstleistung betrachtet.
Eine Umfrage unter den TeilnehmerInnen zeigte, dass nach wie vor ca. 25 % analoge bzw. mechanische Relais im Einsatz sind. Dabei sind die analogen Geräte am stärksten rückläufig. 

In VDE 0109 wird ein Instandhaltungskonzept und -plan gefordert.
Pendants dazu sind in Österreich Elektroschutzverordnung ESV mit der Angabe von 5 Jahren bzw. in der Schweiz die Starkstromverordnung mit 5 Jahren (Anm.: Bei allen Ländern gibt es auch Ausnahmen bei den Zeitintervallen). Im FNN-Hinweis „Anforderungen an Schutztechnik“ wird ein Prüfintervall von 3–4 Jahren definiert.
In den auf EU-Richtlinien basierenden Anwendungsrichtlinien für Hoch- und Mittelspannung  VDE-AR-4110, 4120, 4130 wird ein Intervall von 4 Jahren beschrieben. 

Ein Punkt in der Ausführung ist u. a. die Reduktion der Anforderungen von Erstinbetriebnahme auf Umfang für Wiederholungsprüfung wie z. B. die Überprüfung auf Übereinstimmung des Schutzkonzeptes. 

Sensoren und Schutz

Das Thema Prüfen von Schutzgeräte-Sensoreneingängen wurde von D. Ebbinghaus von ABB AG und F. Fink von Omicron electronics präsentiert. Vorteil der Kleinsignalwandler sind u. a. das geringes Gewicht, die kleine Bauform, kein Sättigungsverhalten und geringe Erwärmungsverluste.

Abb. 8 Fehlerkurve einer Rogowski-Spule [6]

Als Beispiel wurden bei einem Schutzgerät REX640 die Strom- und Spannungssensoren angeschlossen. Via IEC 61850-9-2 können z. B. Spannungssignale als sampled values in der Anlage verteilt werden. Dafür ist eine genaue PTP-Zeitsynchronisierung mit PTP-fähigen Switches erforderlich. 

Bei ABB sind Rogowski-Spulentypen mit einem Übersetzungsverhältnis 80 A/150 mV bei 50 Hz im Einsatz. Aufgrund des linearen Verhaltens – siehe Abb. 8 – kann diese Type für beliebige Nennströme eingesetzt werden. 

Alte Geräte der REF54x-Serie hatten +/-10-V-Eingänge.  Entsprechend waren auch die Testgeräte nur für diesen Bereich verfügbar.Mit dem Signaladapter CMLIB REF6XX und einem ABB-Prüfadapter kann die Schutzprüfung ohne Abstecken von Verbindungen durchgeführt werden.Nur mit dem CMC 430 ist eine Prüfspannung von bis zu 48 Vrms möglich. Dieser Maximalwert entspricht bei einem 80 A/150 mV-Sensor einem Kurzschlussstrom von 25 kA, womit der Dynamikbereich der Sensoren gut abgedeckt wird.

Probleme verursachen Störungen in der Netzspannung wie z. B. Spannungsabrisse durch Schalthandlungen. Der EMV-Einfluss von hohen Kurzschlussströmen ist sehr gering.

Prüfung über Wirkschnittstelle 

Einen Schritt in die Zukunft des Prüfens zeigten A. Aichhorn und M. Aumayr von Sprecher Automation mit „Ferngesteuerte Inbetriebnahme/Schutzprüfung eines Leitungsdifferentialschutzes über die Wirkschnittstelle“. Um Herausforderungen wie kaum vorhandene Kommunikationsmöglichkeit nach außen bzw. zwischen den Stationen im Tunnelbereich zu meistern, bietet Sprecher Automation bei der Geräteserie SPRECON als Lösung eine Ethernet/IP-basierende, gegen Cyberangriffe sichere Wirkschnittstelle an.

Abb. 9 Schema für CMC-Prüfgeräte-Kommunikation über SPRECON-Wirkschnittstelle [7] 

Durch die zuvor erfolgte Wirkschnittstellenkonfigurierung kann das CMC-Prüfgerät 2 direkt am Ethernet-Prot des Schutzgerätes 2 in der gegenüberliegenden Station und der Bedien-PC und das CMC-Prüfgerät 1 am Schutzgerät 1 der eigenen Station angeschlossen werden – siehe Abb. 9.

Die für den Betrieb von zwei Prüfgeräten erforderliche  Zeitsynchronisierung wird ebenfalls über die Wirkschnittstellenverbindung realisiert. Die absolute Zeitgenauigkeit ist hier nicht relevant, es geht lediglich um eine relative Synchronität zwischen den Stationen. 

Mit Hilfe der RelaySimTest-Software wird das System beidseitig-synchron auf Stabilität bei ausliegenden und zuverlässige Auslösung bei innenliegenden Fehlern überprüft – mehr dazu im Omicron-Artikel unserer NETZSCHUTZ-Ausgabe 17-01.

Maschinenschutz

Für die Prüfung von Maschinenschutzgeräten wurde im Vortrag „Neues im Test Universe & Prüfung eines Maschinenschutzgeräts mit Advanced Power“ von C. Mempel, Omicron electronics, ein sehr nützliches Prüfwerkzeug vorgestellt. 

Seit der Version TU 4.00 sind die Module Power und Andvanced Power für Maschinenschutzprüfungen verfügbar. Die Prüfungen erfolgen hier prinzipiell 3-phasig. Für die Anregeprüfung besteht die Möglichkeit, Leistungsrampen mittels Prüfgeraden zu definieren und so die Anregepunkte ohne Eingabe von Einstellwerten für Erregungs-, UMZ- und Rückleistungsschutz zu finden. Anmerkung: In der Impedanzebene wird der fix eingestellte, richtungsunabhängige Stromanregewert zum Kreis. Mit dem grafischen Ergebnis ist v. a. ein einfacher optischer Vergleich mit der Erregungskennlinie des Generatorherstellers möglich. 

Abb. 10 Ergebnisse der Anregeprüfung [8]

Mit der Definition der Untererregungsauslösegeraden und des Erregungsimpedanzkreises können mit anschließender Schussprüfung die Auslösezeiten überprüft werden.

Abb. 11 Ergebnisse der Auslöseprüfung [8]

Die Module bieten auch die Möglichkeit, Netzentkupplungs-, Q/U-, aber auch Pendel-Schutzfunktionen wesentlich einfacher zu prüfen. 

Zu den generellen Neuerungen zählen beispielsweise die TU-Erweiterung um zwei Stück CMC430 für Differentialschutzprüfungen oder die LLX-Modul-Einbindung für das CMC430 für die Sekundärprüfung von Kleinsignalanwendungen.  

Prüfen vs. Monitoring 

In einer von F. Klein von Omicron electronics moderierten Diskussions-Session wurden von KollegInnen Beispiele über Veränderungen und Bedenken beschrieben und diskutiert: 

Die Erhöhung der Prüfzyklen wird von einigen befürwortet, wenn verschiedene Systemfunktionen wie z. B.  

  • durch Schaltvorgänge wie manuelle AWE die Leistungsschalter-Ein-/Aus-Spule und -Rückmeldungen oder
  • durch Messwert-Monitoring der gesamte Kreis vom Wandler bis zum Geräteeingang und die internen Signalverarbeitung überprüft werden können.

Dies ist allerdings nur bei Einsatz vom Kombi-Schutzgeräten und entsprechenden Überwachungs-/Auswertefunktionen möglich.

Dem wurden die in den Normen in definierten Intervallen geforderten Wiederholungsprüfungen entgegengehalten. Ebenso die Erfahrung, dass auch die Auswertealgorithmen einer Überprüfung durch Fachleute aus der Netz- und Schutztechnik zu unterziehen sind.

Systembasierte Schutzprüfung

E. Cottens von Cottens & Badoux Energie Services SA zeigte anhand von drei Beispielen deutlich, dass aufgrund

  • der steigenden Komplexität der Geräte als auch der Konzepte
  • der Vermehrung von Schnittstellen innerhalb eines Projektes,
  • des Zeitdrucks und
  • des sinkenden Prozess-Know-hows

die Fehlerquote immer mehr zunimmt. Mit Hilfe der systembasierten Prüfung können eine Vielzahl an realistischen Fehlerszenarien durchgeprüft und so deutlich mehr Fehler als mit konventionellen Prüfmethoden gefunden werden. Ein weiteres Beispiel dazu finden Sie auf unserer Website unter Distanzschutz.

Prüfnorm

Die bekannte Schutzgeräte-Prüfnorm IEC 60255 gliedert sich in Schutzfunktionsnormen mit -100 beginnend und technische Berichte mit -200. Die Teilnorm IEC 60255-187-1 definiert einen Standard für Typprüfungen von Transformator-, Motor- und Generatordifferentialschutzgeräten und ist noch nicht freigegeben. Ziel ist es, verschiedene Gerätetypen vergleichen zu können.

M. Albert, Omicron electronics, präsentierte in seinem Beitrag „IEC 60255-187 – ein neuer Performance-Indikator für den digitalen Differentialschutz“ interessante Basisinformationen und gewährte einen Einblick in die Komplexitiät von Schutzgerätetypenprüfungen:

Um die teilweise hohen Prüfströme bis zu 100 x Sekundärnennstrom erzeugen zu können, ist der Prüfaufwand auch von der gerätetechnischen Seite sehr aufwendig. Im Beispiel steuert ein CMC 356 als Signalgenerator sechs Stück CMS 356 über die Kleinsignalverbindungen an. 

Abb. 12 Ergebnisse der dynamische Prüfungen – operate time distribution @ fn [9]

Die Prüftiefe ist sehr groß und daher nicht für Inbetriebnahmeprüfungen geeignet. Ein vollständiger IEC60255-187-1 erfordert ca. 150.000 Testschüsse.

Ein Omicron-Spezialtool im Excel-Format hilft, diese großen Mengen an Testergebnissen auszuwerten. Hier können aus den verschiedenen CSV-Exporten der dynamischen Prüfungen automatisiert Auswertegrafiken für eine Bewertung bzw. einen Vergleich von verschiedenen Gerätetypen erstellt werden.   

NETZEFFEKTE 

Dreipolige Ferroresonanzschwingungen 

Typische Entstehung in isolierten Netzen, in dem mind. ein induktiver Spannungswandler vorhanden ist. Gleichzeitig muss das Netz klein sein, d. h. eine verhältnismäßig kleine Gesamtnullkapazität besitzen.

Abb. 13 Stromverteilung bei Sättigung eines Spannungswandlers [10]  

Durch die Sättigung eines Spannungswandlers entsteht ein hochohmiger Erdschluss – siehe Abb. 12. Es ist möglich, dass infolge eine Phase nach der anderen sättigt – siehe Abb. 14. Dann spricht man von einer dreipoligen Ferroresonanzschwingung, die bis zu einigen Minuten lang andauern kann.

Abb. 14 Verlauf der Leiter-Erde-Spannung bei Sättigung [10]

Abb. 15 Typische Netzkonfigurationen mit Sättigungsrisiko [10] 

Maßnahmen v. a. Dämpfungswiderstand oder kippschwingungsarme Spannungswandler. Anmerkung: D. h. die offene Dreieckswicklung ist mitunter rein für die Bedämpfung des Spannungswandlers notwendig. 

Kollegen im Auditorium berichten von Spannungswandler-Sättigungseffekten auch in geerdeten Netzen. Hier treten v. a. beim Zuschalten von Transformatoren und geringen Kabelkapazitäten einpolige Ferroresonanzen auf. Bei Großtransformatoren können Transformatorschaltgeräte mit Zuschaltung im Nulldurchgang Abhilfe schaffen.

Die vorhandene Nullspannung hat typisch 25 Hz und wird somit abhängig vom Schutzgerätealgorithmus als Erdfehler interpretiert oder nicht. 

Doppelleitung 

Der Beitrag von M. Pikisch, Omicron electronics, „Untersuchung eines Doppelleitungsfehlers anhand der mutuellen Kopplungsimpedanz“, zeigte einmal mehr die mitunter großen Abweichungen von geschätzten und gemessenen Schleifenimpedanzwerten bei Doppelleitungen – siehe Tab. 1.

Tab. 1 Messergebnisse an zwei parallelen Leitungen außer Betrieb [11] 

Die Impedanz im Schaltzustand nach der Auslösung am fehlerhaften Kabel (Schaltzustand #2) zeigt einen stark abweichenden Wert und führt zu einer Fehlauslösung – siehe Abb. 16.

Abb. 16 Reaktanzen über dem Fehlerort [11]

ERDSCHLUSSSCHUTZ 

Umstellung auf NOSPE

Einen spannenden Ansatz stellt die Umstellung von Peterson-Spule auf NOSPE dar. Erste Erfahrungen präsentierten R. Bachinger, Wiener Netze GmbH, und L. Fickert, Technische Universität Graz: 

Einen zukunftsweisenden Schritt für Stadtnetze vollzieht der Versorgungsnetzbetreiber Wiener Netze seit 2018, indem die 10-kV-Netze sukzessive von gelöscht auf rein niederohmig-geerdet umgestellt werden. Hauptgrund für die Entscheidung waren die bei einphasigen Erdschlüssen innerhalb kurzer Zeit auftretenden Doppelerdschlüsse und die damit häufig verbundenen, großflächigen Versorgungsausfälle.
Um das Ziel zu erreichen, die bestehende Schutztechnik und Kurzschlussanzeiger weiterhin verwenden zu können, werden auf 2000 A Erdschlussstrom abgestimmte Sternpunktswiderstände installiert. Damit ist selbst bei Fehlern an den Enden des mit offenen Ringen betriebenen 10-kV-Netzes ein einphasiger Fehlerstrom über 1000 A gesichert, der die Kurzschlussanzeiger sicher zur Auslösung bringt.

Abb. 17 Übersicht bei einpoligem Kurzschluss mit 1000 A [12]  

BAHNSCHUTZ 

Abzweiggebundene Prüfung

Einen Einblick in den Bereich der Bahntechnik gaben A. Ortseifer, DB Energie GmbH, und P. Löhler, Ruhr-Universität Bochum: 

Eine erst seit Kurzem zum Einsatz kommende Kurzschlussprüfung im Bahnbereich ist die Abzweiggebundene Prüfung (AGP). Dieser Algorithmus basiert auf der Messung der Ladung, welche während einer Viertelperiode auf einen Abzweig fließt. Je nachdem, ob der Messwert ober- oder unterhalb eines voreingestellten Wertes liegt, wird auf „schlecht“ oder „gut“ entschieden.

Abb. 18 Beispiel für Stromintegrale (Ladung) der AGP, grün = gut / rot = schlecht [13]

Die schwierige Detektion von hochohmigen Kurzschlüssen kann durch Oberwellenmessung mit anschließender Fourier-Transformation und Kombination mit einem Fisher-Transformationsabgleich, der das Signal mit einem „idealen“ Cosinus vergleicht, eindeutig verbessert werden – siehe Abb. 19.

Abb. 19 Modifizierter AGP-Prüfablauf [13]

STROMWANDLER

Remanenzabbau bei Stromwandlern durch Belastungsströme

Die einführenden Informationen von J. Meyer, Technische Universität Dresden (siehe auch sein Artikel in NETZSCHUTZ Ausgabe 18-03) zeigten die Problematik bei Remanenz von Stromwandlern auf. 

Basis der Untersuchungen waren Hysteremessungen an 2 verschiedenen Wandlertypen. Um den Abbau der Remanenz durch den Laststrom nachweisen zu können, wurden die Wandler bewusst „aufmagnetisiert“.  Der Laststrom wurde bei verschiedenen Sekundärbürden und Zeitdauern aufgeschaltet

Abb. 20 Ergebnisse unterschiedlicher Belastungsströme [14] 

Die Untersuchungen zeigen, dass ein Remanenzabbau nur innerhalb der ersten 10 Sekunden und dann auch nur bei starker Wandlerbelastung und hoher Bebürdung auftritt. Im Umkehrschluss kann bei der häufig vorkommenden Unterbürdung von bleibender Remanenz ausgegangen werden und der Einsatz von PR und TPY/TPZ-Kernen für z. B. Leitungsdifferentialschutz sinnvoll sein.

QUELLEN

Für registierte Omicron-User sind die Tagungsunterlagen und Präsentationsfolien unter www.omicronenergy.com verfügbar.  

1 S. Meier, Hochspannungs-Mischstrom-Übertragung (HMÜ) – Eine Ergänzung zu bestehenden Übertragungstechnologien, Hochschule Offenburg, 2019
2 J. Müller, Unsere Netzfrequenz: Die Brücke zwischen Versorgungsnetz und Energiehandel, WSW Energie & Wasser AG, 2019
3 M. Pairits, Die doppelt gespeiste Asynchronmaschine im Pumpspeicherkraftwerk: Anforderungen an die Schutztechnik, ANDRITZ HYDRO GmbH, 2019
4 T. Frey, Synchrocheck und Synchronisierung, Bouygues E&S EnerTrans AG, 2019
5 S. Schöner, Omicron electronics; J. Bünger, FGH GmbH., Sind Schutzprüfungen noch zeitgemäß?, 2019
6 D. Ebbinghaus, ABB AG; F.Fink, Omicron electronics, Prüfen von ABB Schutzgeräten REX640 mit Sensoreingängen und dem CMC 430
7 A. Aichhorn; M. Aumayr, Ferngesteuerte Inbetriebnahme/Schutzprüfung eines Leitungsdifferentialschutzes über die Wirkschnittstelle, Sprecher Automation, 2019
8 C. Mempel, Neues im Test Universe & Prüfung eines Maschinenschutzgeräts mit Advanced Power, Omicron electronics, 2019
9 M. Albert, IEC 60255-187 – ein neuer Performance-Indikator für den digitalen Differentialschutz, Omicron electronic, 2019
10 R. Luxenburger, Dreipolige Ferroresonanzschwingungen, Omicron electronics, 2019  

ETG-Kongress 2019

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