ETG-Kongress 2019

Die ETG-Tagung 2019 in Esslingen am Neckar bot die Möglichkeit, einen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschungen und Projekte in Bereichen E-Mobility, Sektorenkopplung, Digitalisierung und Netzplanung zu erhalten.

von Peter Schitz Datum 27.05.2019

Allgemein

Der Trend zu mehr Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen wird den Strombedarf stark erhöhen. Um die vorgegebene CO2-Reduktion zu erreichen, muss die notwendige elektrische Energie durch eine massive Zunahme der EE-Erzeugung in Kombination mit einer konstant bleibenden Stromerzeugung aus flexiblen Kraftwerken, die allerdings vermehrt mit Gas betrieben werden, bereitgestellt werden.

E-Mobility

Die Präsentationen widmeten sich nicht den konkreten Ladetechnologien, sondern Ansätzen wie der Reduzierung von Spitzenlasten durch Flexibilisierung der Ladevorgänge. D. h., die Ladezeiten von Elektro-Pkw oder -Bussen werden in Abhängigkeit von verschiedenen Kriterien wie Netzauslastung oder Strompreis flexibel gesteuert – Beispiele: [1], [2], [3]. 

Abb. 1 Optimierte Ladeprofile [2]

Sektorenkopplung

In diesem Bereich sind die technischen Notwendigkeiten wie Stromlieferung aus Gas- und Wasserkraftwerken und Stromspeichern während einer Dunkelflaute klar am Tisch. Unklar ist das Ausmaß an notwendigen Kraftwerksneubau-Kapazitäten.

Die vorgestellten Arbeiten liefern Analysen zu den Möglichkeiten, den Strombezug in Abhängigkeit von netz- und markttechnischen Gegebenheiten zu verzögern oder Stromspeicherung zu betreiben.

Beispielhaft sei die Analyse der Rheinischen NETZGesellschaft in ihrem Versorgungsgebiet erwähnt: Durch die verteilte Flexibilität im Verteilnetz kann diese Jahreshöchstlast um bis zu 40 % netzdienlich reduziert werden – allerdings auch um bis zu weitere 30 % erhöht werden, wenn die neuen Anlagen eine hohe Gleichzeitigkeit aufweisen. Je nach Art der Steuerung kann somit der Netzausbaubedarf im Stromnetz durch eine intelligente Vernetzung reduziert oder gar erhöht werden [4]. 

In einem anderen Beitrag wurden Sektorenkopplungsmaßnahmen auf Niederspannungsebene betrachtet. Dabei hat sich bei der Gegenüberstellung der Amortisationsdauer, des Autarkiegrads, des CO2-Emissionsausstoßes und der technologischen sowie ökonomischen Gesichtspunkte Fallbeispiel 3 – siehe Abb. 2 – als optimale Lösung herausgestellt. Die Autoren sehen dies als Grundlage für einen neuen Ansatz der Energiewende: Diese wird von unten nach oben anstatt von oben nach unten vollzogen [5].

Abb. 2 Zusammensetzung der Szenarien [5]

Andere Betrachtungen beschäftigen sich mit der Nutzung von thermischen Speicherkapazitäten von Gebäuden [6]. 

Einige Studien im Segment Sektorenkopplung widmen sich dem nachfolgenden Themenschwerpunkt der Tagung:

Digitalisierung und Simulation

Zu diesem Thema der Tagung wurden Simulationsmodelle vorgestellt, die v. a. die Auswirkungen von Flexibilitätsansätzen, Virtuellen Kraftwerken, Sektorkopplung und deren Regelung detailliert betrachten.

Erfahrungen aus dem Feldtest Regionales Virtuelles Kraftwerk zeigen, dass zentralistische EMS die Anforderungen der mit der Energiewende verbundenen dezentralen Einspeisung und dem Voranschreiten der Sektorkopplung nur bedingt erfüllen können [7].

Abb. 3 Ebenenstruktur des sektorübergreifenden dezentralen Energiemanagements [7]

Einige Studien widmeten sich der Trendanalyse des Energieverbrauchs mit Langzeitdaten und Wetterprognosen und den Auswirkungen auf Strommarkt und Regelsysteme.

Ein Beispiel für die Arbeit mit Bestandsdaten stellt die bemerkenswerte Auswertung von 77 Ein-Jahres-Profilen mit 15-min-Intervallen von kommerziellen und privaten Verbrauchern sowie Speicher- und Erzeugungseinheiten in Deutschland auf der Mittel- und Niederspannungsebene dar [8].

Mit dem Statistikinstrument der Zeitreihenanalyse werden aus den bestehenden Datenpools regionale Einspeise- oder Lastcharakteristiken geschaffen. Liegen die, meist aufwendig zu erstellenden Modelle vor, kann die stetig wachsende Zahl an neue Datensätzen automatisiert in die Netzplanung einfließen und somit der weitere Aufwand reduziert werden [9].

Eine weitere Studie über Kurzfrist-Lastprognosenermittlung beschreibt, dass bei den Lastverläufen das beste Ergebnis mit unterschiedlichen Prognosemodellen erzielt werden kann und zwischen Aufwand und Nutzen eines Modells abzuwägen ist, da ein besseres Prognoseergebnis den ggf. hiermit verbundenen Mehraufwand nicht unbedingt rechtfertigt [10].

Ebenso gibt es einige Ansätze für das Hochrechnen von fehlenden Messwerten auf Basis von wenigen real vorhandenen Messwerten. Diese sind v. a. in Mittelspannungsunterstationen und in Niederspannungsnetzen der Versorgungsnetzbetreiber hilfreich. Die Einbeziehung von Smart-Meter-Messdaten spielt hier ebenfalls ein wesentliche Rolle [11], [12], [13], [14].

Bei den ökonomischen Betrachtungen zeigen sich u. a. die hohen Investitionskosten von Batteriespeichern im Vergleich zum klassischen Netzausbau, der die Rechnung durch die vergleichsweise hohe Lebenserwartung stark beeinflusst: Während des Lebenszyklus von klassischen Netzkomponenten muss ein Batteriespeicher inkl. Leistungselektronik mindestens ein Mal getauscht werden.

Erste Überlegungen zur Anpassung der Rahmenbedingungen zeigen, dass regionale Strompreissignale zu einem systemdienlicheren Anlageneinsatz führen [15].

Netzplanung

Es wurden ausgereifte Hilfstools für die Netzplanung vorgestellt, die durch automatisiertes Abarbeiten und technisch-kommerzielles Bewerten von Varianten wertvolle Vorarbeit leisten und Entscheidungsfindungen erleichtern bzw. beschleunigen.

Als ein Werkzeug für Netzplanung zur Abwägung der beiden Ziele, ein zuverlässiges und gleichzeitig effizientes Netz zu betreiben, hat Axpo die Qualitätskennzahl ERIS (Evaluation of Reliability Index for Electric Systems) entwickelt [16].

Abb. 4 Mit ERIS den Handlungsbedarf heute und morgen erkennen [16]

Die mit dem System TAZAN eingeführte Automatisierung erlaubt es in Zukunft, auch den Planungsprozess selbst zu verbessern, beispielsweise durch die Betrachtung probabilistischer Prognoseszenarien zur Erstellung robuster Netzausbaupläne oder der Berücksichtigung weiterer Datenquellen, wie z. B. Messzeitreihen oder Ausfallstatistiken [17].

Bei den primärtechnischen Maßnahmen wurden die positiven Auswirkungen des Kuppelns von Netzen sowohl auf HS- und MS- als auch auf NS-Ebene vorgestellt [18], [19].

Abb. 5 Comparison of controlled vs. uncontrolled load flow in distribution system [19]

Ein weiterer Themenschwerpunkt war die durch geringer werdende Generatoranteile  schwierige Spannungshaltung, die nur durch den Einbau von zusätzlichen Blindleistungslieferanten kompensierbar ist [20].

Batteriesysteme stellen sich auch im Vergleich zu regel- und markttechnischen Maßnahmen als zu kostenintensiv heraus [3].

Batteriesysteme in der Industrie: Zur Vergleichmäßigung der Netzleistung bei fluktuierenden Lastprofilen ermöglicht eine reduzierte Bemessung der Netzanschlussinstallation den Betrieb in schwachen Netzen [21]. 

Trend

Die Tagung zeigte einmal mehr: Die eine Lösung“ gibt es nicht und wird es auch in Zukunft, weder aus technisch-technologischer noch aus kommerzieller Sicht, nicht geben. Es werden Übergangslösungen (Brückentechnologien) wie neue Gas-Kombi-Kraftwerke zum Einsatz kommen, die im günstigsten Fall einmal mit Biogas oder Gas aus P2G betrieben werden.

Mischlösungen werden gegenüber rein zentralistischen Ansätzen klare Vorteile bieten:

  • bei der Regelung der Erzeuger, der Speicher und der Verbraucher.
  • Viele Studien zeigen das hohe Potenzial  bei Kombinationen verschiedener Ansätze im Bereich Sektorenkopplung  (kleine P2G-Anlagen im Netz verteilt und große Anlagen, Virtual Energy Storage in Gebäuden, Gas-Kombi-Kraftwerke in Kombination mit Wärmespeichern)

Unser Dank gilt der VDE-ETG für die Austragung dieser interessanten Fachtagung!

 

Häufig verwendete Abkürzungen

EE – Erneuerbare Energie

P2G – Power to Gas

VES – Virtual Energy Storage

EMS – Energy Management Systems 

VNB – Verteilnetzbetreiber

ICT / IKT – Information and Communication Technologies 

RES – Renewable Energy Sources 

 

Häufig verwendete Begriffe aus den Vorträgen

mit weiterführenden weblinks:


Aggregator – Zwischenhändler am Energiemarkt. —> www.energieagentur.nrw

Sektorenkopplung – Kopplung der energetischen Sektoren Strom, Wärme und Mobilität. —> www.energieagentur.nrw

VPP – Virtual Power Plant / Virtuelles Kraftwerk  -  Kraftwerke, die aus mehreren Erzeugungsanlagen, Lasten oder Speichern bestehen —> www.bmwi-energiewende.de

Flexibilität – ist die Veränderung von Einspeisung oder Entnahme in Reaktion auf ein externes Signal (Preissignal oder Aktivierung), mit dem Ziel, eine Dienstleistung im Energiesystem zu erbringen. —> www.bundesnetzagentur.de

Resilient – ein Energiesystem, dass auch unter Belastungen funktionsfähig bleibt und Energie bereitstellt. —> www.akademienunion.de

 

Quellen

Alle im Folgenden genannten Arbeiten finden Sie in:

ETG-Fb. 158: Internationaler ETG-Kongress 2019

Das Gesamtsystem im Fokus der Energiewende 8. – 9. Mai 2019, Neckar Forum, Esslingen am Neckar 2019, 517 Seiten, Slimlinebox, CD-Rom

ISBN 978-3-8007-4954-6, E-Book: ISBN 978-3-8007-4955-3

[1] O. Pronobis, Cao Danting, M. Kurrat, „Assessment of Static Charging Management Methods,“ Technische Universitaet Braunschweig Institute for High Voltage Technology and Electrical Power Systems – elenia.

[2] V. Holz, „Elektrobus Ladeinfrastruktur Systeme- Individuelle Ladekonzepte für jede Anforderung,“ ABB AG, Mannheim, Deutschland.

[3] R.Schmidt u. w., „Revenue-optimized Marketing of electric Vehicles’ Flexibility Options,“ University of Wuppertal and Stadtwerke Iserlohn GmbH.

[4] U. Groß u. w., „Langfristige Entwicklung der Energielandschaft auf Basis politischer, technologischer und gesellschaftlicher Veränderungen,“ Rheinische NETZGesellschaft, Köln.

[5] N. Gast und M. Wolter, „Sektorenkopplung im Niederspannungsnetz: Der nächste Schritt für die Energiewende?,“ Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Lehrstuhl Elektrische Netze und Erneuerbare Energie.

[6] M. Reinwald u. w., „Energiespeicherung und Stromnetzregelung mit hocheffizienten Gebäuden Windheizung 2.0,“ Bayerisches Landesamt für Umwelt, Augsburg und Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Energie und Technologie, München.

[7] T. Hess, J. Werner, P. Schegner, „Konzepte für ein sektorenübergreifendes Energiemanagement,“ TU Dresden, IEEH, Dresden.

[8] C. Spalthoff u.w., „SimBench: Open source time series of power load, storage and generation for the simulation of electrical distribution grids,“ Fraunhofer IEE, Kassel und TU Dortmund University, Dortmund.

[9] G. Seifert, „Einführung der Zeitreihenanalyse als Basis einer optimierten Netzentwicklung,“ University of Erlangen-Nuremberg, Germany.

[10] J. Rolink, „Vergleich verschiedener Modelle zur Kurzfrist-Lastprognose,“ Hochschule Emden/Leer.

[11] P. S. M. Schmidt, „State Estimation in Three-Phase Unbalanced Low Voltage Grids Using Uncertainty Intervals,“ TU Dresden, IEEH, Dresden.

[12] A. Schaugar u.w., „Use of intelligent metering systems to optimize the network state,“ University of Wuppertal, Wuppertal; Voltaris GmbH, Maxdorf; VSE Aktiengesellschaft, Saarbrücken; SPIE Deutschland & Zentraleuropa, Ratingen.

[13] D. Groß u.w., „Validierung einer Verteilnetz-Zustandsschätzung in einem realen Mit- telspannungsnetz,“ Universität Stuttgart - Institut für Energieübertragung und Hochspannungstechnik, Stuttgart und Netze BW GmbH, Stuttgart.

[14] C. Fuchs u.w., „Technisches Konzept zur netzdienlichen Nutzung von Daten aus intelligenten Messsystemen für Verteilnetzbetreiber,“ Westnetz GmbH, Dortmund und innogy Metering GmbH, Mülheim a.d.R..

[15] M. Fette, „Systemdienlicher Betrieb in der Sektorenkopplung: Zwischen gesamtwirtschaftlichem Anspruch und betriebswirtschaftlicher Wirklichkeit,“ Fraunhofer IFAM, Bremen.

[16] J. Kottmann u.w., „ERIS – Kennzahl zur Bewertung der Versorgungssicherheit,“ Daniel Moor und David Lehnen, Axpo Grid AG, Baden, Schweiz.

[17] L. Thurner u.w., „TAZAN – Teilautomatisierte Ziel- und Ausbaunetzplanung in Mittelspannungsnetzen,“ Universität Kassel, FG Energiemanagement und Betrieb elektr. Netze, Kassel; Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE),Kassel; Regenerative Energysteme, Kassel und Netze BW Gmbh, Stuttgart.

[18] M. Haiyan u.w., „Control concepts of a novel device for coupling LV grids,“ University of Kaiserslautern, Kaiserslautern und Pfalzwerke AG, Ludwigshafen.

[19] D. Westermann u.w., „Distribution grid interconnection using DC-links,“ Power System Group, Technische Universität Ilmenau, Ilmenau; P&M Power Consulting GmbH, Erfurt; Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom mbH , Kabelsketal; Bayernwerk Netz GmbH , Regensburg; Thüringer Energie AG, Erfurt; Siemens AG, Erlangen; ABB AG,Mannheim.

[20] P. Kertscher u.w., „Aktive Blindleistungssteuerung - Systemdienstleistung aus dem Verteilnetz,“ WEMAG Netz GmbH, Schwerin.

[21] C. Evers, V. Müller, „Energiespeicher für Antriebssysteme mit fluktuierenden Lastprofilen,“ Technische Universität Dresden, Dresden.

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